Mit Kippa? Nur nachts
Von Peter Grohmann
Es war mir immer ein Vergnügen, morgens aufzustehen, gegen halber siebene. In jüngster Zeit möchte ich am liebsten die Bettdecke über mir zusammenziehen – aber ich kann nicht mehr schlafen, weil ich nicht weiß, ob der Krieg über Nacht gewachsen ist. Ich tröste mich über die nächste Viertelstunde: Wenn er ganz groß geworden wär‘, würde ja jemand anrufen, es lange klingeln lassen wie der Rüdiger und dann sagen: „Peter, man müsste was machen!“ Man bin immer ich. Bis mir plötzlich klar wird: In Israel ist es jetzt ja alles später, viel später, manches zu spät – und in Gaza noch viel später als im Libanon …
50 Millionen Tonnen Schutt müssen später mal weggeräumt werden, wenn der Krieg keine Luft mehr kriegt. Der Schutt – das wird nochmal ein ganz, ganz großer Geschäftszweig!
Schlagen die nachts zurück? Haben sie schon? Ist es ein Erstschlag oder bloß Vergeltung oder was ganz Neues? Dann hau‘ ich mir an den Kopp: Junge, sag‘ ich mir, jetzt haste die Ukraine vergessen! Wenn’s doch nur die wäre. Da kommt ja noch der Jemen dazu und der Kongo! Oder ist es Kenia? Nein, Mali. Der Sudan? Vergiss Syrien nicht, Alter, und die Uiguren. Wieso Uiguren, frage ich mich, da ist doch gar kein Krieg. Afghanistan? Okay, das haben wir ja befriedet. Jetzt sitzt auch Deutschland mit im Schlauchboot.
Es ist nicht mehr schön, morgens aufzustehen, zu frühstücken und die Zeitung zu lesen. Das Vergnügen, wär’s denn eins, wäre ja eh sehr kurz – die Presse wird immer dünner. Das meiste fehlt, auch an Seitenhieben. Jetzt kann dich nur noch das Netz auffangen, doch du weißt: Jede Zweite liest täglich Zeitung, wird von der Anzeigenabteilung behauptet. Aber es hilft nichts. Die Tageszeitungen erreichten knapp 50 Prozent der über 14-Jährigen – inklusive der Analphabeten. Und wen erreichen wir? Und wann? Und mit was?
Viele Neurobiologinnen und -psychologen wissen: Die Digitalisierung und der Wandel der Medienlandschaft machen unsere IQ-Werte deutlich dünner. Steigende Bildschirmzeiten, ständige Erreichbarkeit – das schlägt auf den Geist, macht aggressiver und letztlich dümmer. Ich hab’s ja geahnt: Das Gehirn ist schlicht überfordert. Meins auch.
Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de