Mengede – nicht Weltstadt – aber weltoffen!
Unter diesem Motto hat das „Netzwerk gegen Rechts im Stadtbezirk Mengede“ alle Menschen im Stadtbezirk aufgerufen, am 1. Mai diesen Jahres mit einem „Sternmarsch für Toleranz, Demokratie und Respekt“ ein deutliches Zeichen für Anstand, Mitmenschlichkeit und für die Achtung der Menschenwürde im Stadtbezirk Mengede zu setzen.
Bei der Kommunikation dieses Termins hat es einige Probleme gegeben; bis auf MENGEDe:InTakt! hat kein Medium den Termin bekannt gegeben – was nicht an den Medien gelegen hat. Aber aus Fehlern lässt sich lernen.
Trotzdem haben sich aus Westerfilde, Bodelschwingh, Nette und Mengede Menschen auf den Weg gemacht, um im Sinne der Veranstalter ein Zeichen für Anstand, Mitmenschlichkeit und für die Achtung der Menschenwürde im Stadtbezirk Mengede zu setzen. Wir werden über die Veranstaltung aus verschiedenen Blickwinkeln berichten und beginnen an dieser Stelle mit der Wiedergabe einer Ansprache, die Diethelm Textoris – Mitglied des Redaktionsteams von MENGEDE:InTakt! – am Judenfriedhof in der Mengeder Heide, dem Treffpunkt der Mengeder Delegation, gehalten hat.
Rückblicke auf die Geschichte – Verknüpfungen mit der heutigen Zeit
Ansprache von Diethelm Textoris, gehalten am 1.5.2016 zu Beginn des „Sternmarsches für Demokratie, Toleranz und Respekt“ am Judenfriedhof in der Mengeder Heide, dem Treffpunkt der Mengeder Teilnehmer am Sternmarsch.
An den Beginn meiner Ausführungen möchte ich ein Zitat des spanisch/amerikanischen Philosophen George Santayana stellen: „Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind verdammt, sie zu wiederholen.“
Denn heute sind wir auch hier, dass wir uns an die Vergangenheit erinnern. Dass wir uns und unseren Kindern und Enkeln die schrecklichen Erfahrungen ersparen, die unsere Eltern und Großeltern machen mussten.
So will ich einige Rückblicke auf die Geschichte werfen und Verknüpfungen zur heutigen Zeit anstellen.
Dabei bleibe ich zunächst geografisch hier im Raum Mengede. Beim Aufräumen des Kellers fand ich ein Dokument, das mir mein Großvater hinterlassen hat. Es beinhaltet seine Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes. Er wurde im März 1933 verhaftet, nur zwei Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Tatvorwurf: Mitglied der kommunistischen Partei.
Man sperrte ihn ohne richterlichen Beschluss in die berüchtigte Steinwache. Nur die mit viel Tränen verbundene penetrante Intervention meiner Großmutter bei Franz Land, einer damaligen Nazigröße in Mengede, erreichte seine Entlassung nach einigen Monaten. Er war danach aber mehrere Jahre arbeitslos, weil man ihn als politisch Belasteten nicht vermittelte. Die freie Zeit nutzte er, um mit Gesinnungsgenossen Flugblätter zu drucken. Eine hochgefährliche Angelegenheit.
In den letzten Kriegstagen konnte man ihn plötzlich gebrauchen. Da wurde der Soldat des Ersten Weltkriegs für den Volkssturm eingezogen. Kurz darauf geriet dann meine Oma, eine naive und unpolitische Frau, ins Visier der Gestapo. Sie hatte, wenige Tage nach der Nachricht vom Tod ihres Sohnes in Italien die Einberufung ihres Mannes kritisiert und dabei den Endsieg in Frage gestellt.
Ich habe dieses Beispiel für diejenigen genannt, die gedanklich den Nationalsozialismus in einen guten und in einen schlechten Teil einteilen:
Vom ersten Augenblick an wurden politische Gegner verfolgt, Andersdenkende inhaftiert gefoltert und misshandelt.
Toleranz auch gegenüber Andersdenkende ist eine wichtige Errungenschaft, die wir verteidigen müssen. Meinungs- und Gewissensfreiheit sind nicht zu unterschätzende Güter.
Das erste KZ-Börgermoor wurde bereits 1933 eingerichtet. Und wer sich ein Bild vom immensen Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen machen will, der sollte nach Auschwitz fahren: Man schreitet durch das Tor mit der zynischen Aufschrift: Arbeit macht frei.
Und dann: Wachttürme, Baracken, Elektro-Stacheldrahtzäune, menschenunwürdige Sanitäranlagen, Verhörräume, Zellen, die „Schwarze Wand“ für Erschießungen und Galgen als Hinrichtungsstätten. Koffer, Schuhe, Prothesen und persönliche Gegenstände der Ermordeten.
Ich begleite seit einigen Jahren junge Leute dorthin und habe sie nach ihren Eindrücken befragt: „Mich berührte ganz stark der große Raum, in dem die Unmengen von Haaren ausgestellt sind, die den Häftlingen abgeschnitten wurden“, erklärte die 19-jährige Klara, „und danach konnte man noch einen Teppich sehen, der aus Menschenhaaren gefertigt wurde, schrecklich.“
Anna-Lena war am meisten beindruckt von dem 144 ha großen Gelände in Birkenau, von der Fabrik des Todes, mit den ehemaligen Gaskammern, den Verbrennungsöfen und gesprengten Krematorien.
Die meisten erklären, dass ihnen zum ersten Mal die systematische, fabrikmäßige Tötung von Menschen bewusst wird.
Das sollten all diejenigen bedenken, die sich in romantischer Verklärung gute alte Zeiten zurückwünschen. Psychologisch gesehen sind sie damit sofort entlarvt. Denn Vergangenheitsverherrlichung ist neben Autoritätsgläubigkeit, Machtverherrlichung und Gewaltbereitschaft ein untrügliches Merkmal des sogenannten Faschismus-Syndroms.
Kommen wir zu einem heute aktuellen Thema: Dem Zustrom von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Ich will diese Problematik nicht kleinreden. Wir stehen vor großen Herausforderungen.
Doch sollte man diese Aufgabe cool und besonnen angehen und nicht Ängste schüren und damit auf Stimmenfang gehen.
Wieder möchte ich einen Blick in die Vergangenheit werfen.
Im 19. Jahrhundert verwandelte sich unser Ruhrgebiet in eine Einwanderungsregion. Und schon damals gab es viele mahnende und warnende Worte. „Die Anhäufung großer Arbeitermassen slawischer Abkunft im rheinisch-westfälischen Industriegebiet“, stellte 1896 der Oberpräsident der Provinz Westfalen, Heinrich Konradt von Studt fest, berge bedeutende Gefahren.
Denn es handele sich um „Elemente, welche dem Deutschtum feindlich gegenüberstehen, sich auf einer niedrigen Stufe der Bildung und Gesittung befinden und zu Ausschreitungen geneigt sind“.
Setzten Sie statt Slawen Flüchtlinge oder Ausländer, und schon sind Sie bei der Diskussion um die deutschen Leitkultur.
1920 warnte die rheinisch-westfälische Landesgruppe der Oberschlesier – man beachte, selbst Einwanderer – davor, dass „Westfalen, dieses kerndeutsche Land, das stolz ist auf die Taten eines Arminius und Wittekind“, nicht zu einem gemischtsprachigen Gebiet werden dürfe. „Westfalen ist deutsch und soll es unverfälscht bleiben […]. Polnische Schulen im Industriegebiet sind eine nationale Gefahr, wir werden sie mit deutscher Zähigkeit bekämpfen und ihre Einrichtung nicht dulden.“
Und was war ein paar Jahre später? 1934 wurde Schalke 04 Deutscher Meister. Spieler: Emil Czerwinski, Ernst Kalwitzki, Ernst Kuzorra, Hermann Mellage, Fritz Szepan, Otto Tibulski, Adolf Urban und Ferdinand Zajons.
Alle in Deutschland geboren. Soviel zu Thema Integration.
Dann gab es die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland in allen vier Besatzungszonen einen großen Vertriebenen- und Flüchtlingsstrom aus Ost- und Mitteleuropa und den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufnehmen musste. Die geschichtlichen Quellen sprechen von 12 bis 14 Millionen. Diese Herausforderung haben wir mit Bravour bewältigt.
Und das in einer Zeit, als es uns verdammt schlecht ging: Mangelhafte Ernährung, Wohnungsnot, Konsumgütermangel.
Ich bin in meinem Leben in über 20 Ländern zu Fuß unterwegs gewesen. Die größte Gastfreundschaft- und Herzlichkeit fand ich dort, wo die Menschen am ärmsten waren. Sollte unser Wohlstand der Grund dafür sein, dass wir abgestumpft sind gegenüber der Not unserer Mitmenschen?
Ich will nicht abstreiten, dass sich unter den Zuwanderern auch solche befinden, die unsere gesellschaftlichen Werte nicht anerkennen, die kriminell sind.
Was mich nur wundert ist, dass diejenigen, die Gewalt auf ihre schwarz-weiß-roten Fahnen geschrieben haben, die sich als Brandstifter betätigen und Häuser anzünden, die Menschen nur wegen ihrer Hautfarbe anpöbeln und zusammenschlagen, dass die sich Sorgen um unsere innere Sicherheit machen. Dass die sich zu Wächtern von Recht und Ordnung machen wollen.
Sollten wir das Feld der inneren Sicherheit nicht besser unseren staatlichen Sicherheitskräften wie der Polizei überlassen. Noch hat, und ich sage Gott sei Dank, allein der Staat ein legitimes Gewaltmonopol.
Doch meiner Meinung nach sind die Rechtspopulisten augenblicklich gefährlicher als die Rechtsradikalen. Die Wölfe im Schafspelz, wobei ich an dieser Stelle als Naturfreund keinen Wolf beleidigen möchte.
Gefährlich sind diejenigen, die gegen alles sind, erst gegen den Euro, dann gegen Europa, gegen Ausländer und Flüchtlinge, gegen den Islam. Islam wird einfach mit radikalem Islamismus gleichgesetzt und über 5 Millionen friedliche Moslems in Deutschland werden unter Generalverdacht gestellt.
Doch werfen wir einen Blick in unsere christliche Bibel. Sie enthält die wunderbare Aufforderung zu Toleranz und Menschenliebe, das sollten wir beherzigen und leben. Doch wurde nicht auch hier der Missionsauftrag jahrhundertelang missbraucht, um ganz Kulturen zu zerstören, um im Namen Gottes zu töten und zu plündern?
Ich sage es noch einmal: Wir haben gewaltige Herausforderungen zu bewältigen. Aber Probleme, die gestandene Politiker vor eine riesige Aufgabe stellen, sollten wir nicht den politischen Dilettanten und Hasardeuren überlassen.
Ich habe mit einen Zitat begonnen, ich möchte mit einem Zitat schließen. Der Publizist Kurt Tucholsky stellte in den 20-Jahren des vergangenen Jahrhunderts fest:
„Es ist ja nicht wahr, dass jene, die sich ’national‘ nennen … dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben…Deutschland steht nicht über allem– niemals. Aber mit allen soll es unser Land sein… Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat.“
Und ein Nachtrag von mir:
Hüten wir uns vor denen, die angeblich unsere Werte verteidigen wollen und dabei ein anderes Deutschland im Auge haben.