Erinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Bodelschwingh und Westerfilde (9)

Heute:

Erinnerungen von Edith Ruarus, geb. Kopperschläger (*1936) Emilstraße, aufgeschrieben von Annemarie Heinrichs im Januar 2009

sowie

Erinnerungen von Gerda Schulte, geb. Disse (*1924), Richterstraße, aufgeschrieben im Januar 2009

Vorbemerkungen:
Im Juni 2009 hat die Gruppe Bodelschwingh-Westerfilde des Heimatvereins Mengede ein kleines Büchlein herausgegeben, das Erinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Bodelschwingh und Westerfilde wiedergibt. Diese Erinnerungen sind in 300 Exemplaren erschienen, bis auf den Archivbestand sind sie inzwischen alle vergriffen.
Da die Texte auch heute noch aktuell sind, haben wir uns entschlossen, in loser Folge und auszugsweise die „Erinnerungen“ nachzudrucken. Wir denken aber auch, mit einer erneuten Veröffentlichung dem Wunsch der damaligen Herausgeber nach einer „lebendigen Weitergabe unserer erlebten Geschichte in Bodelschwingh und Westerfilde“ zu entsprechen. MENGEDE:InTakt! setzt heute die Erinnerungen mit je einem Bericht von Edith Ruarus, geb. Kopperschläger sowie von Gerda Schulte, geb. Disse fort. Einer der damaligen Herausgeber – Otto Schmidt – hat die Betreuung der auszugsweisen Neuauflage übernommen und wird die damaligen Angaben – wenn nötig – durch zusätzliche Informationen ergänzen. (K.N.)

Edith Ruarus, geb. Kopperschläger erinnert sich:

Wir, die Familie Kopperschläger aus der Emilstraße, rannten bei Alarm immer in den Keller der „Wirtschaft Linden“ an der Westerfilder Straße/ Ecke Mosselde.

An diesem Tag des Bombenangriffs auf Westerfilde, am 07. März 1945, schickte meine Mutter unsere Oma Elfriede Aries mit ihren zwei anderen kleinen Enkelkindern, Doris (3 Jahre ) Klaus-Peter (1 Jahr) beim Voralarm in den Keller, meine jüngere Schwester Gerda, Mutter und ich kamen nicht früh genug weg und schafften es nur bis zum Nachbarbunker. Das rettete uns das Leben.
Denn alle 15 Menschen, die im Keller von Linden Schutz gesucht hatten, kamen um. Adolf Linden, der sich vor dem Haus noch mit einem Nachbarn unterhalten hatte, wurde von dem Luftdruck weggeschleudert und erst nach Tagen tot aufgefunden.
Günther Klimaschewski, auch ein Mieter des Hauses, hatte Nachtschicht „auf dem Pütt“ gehabt und schlief in seiner Mansarde. Er fiel mit dem Bett in die Trümmer und überlebte als einziger aus dem ganzen Haus.

Schräg gegenüber von Linden war die Backstube von Bäcker Nöthe von einer Brandbombe, getroffen worden und teilweise eingestürzt. Frau Nöthe war in dem Bunker unter dem Backofen eingeklemmt und schrie sich die Seele aus dem Leib. Die Feuerwehr und Nachbarn gruben mit den Händen und allem Gerät nach ihr, um sie aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien. Diese Schreie werde ich nie wieder los.

Als die Amerikaner da waren, haben sie alle Häuser und Wohnungen durchsucht.
Ich kann mich an einen amerikanischen Soldaten erinnern, der mit dem Gewehr im Anschlag vor dem Foto meines verstorbenen, uniformierten Großvaters stand und Angst verbreitete. Meine Mutter konnte ihn zum Glück beruhigen und uns passierte nichts; aber das Bild ist weg. Irgendwann sah ich im Nachbarhaus einen GI mit Stiefeln im Bett liegen.

Das war für mich als wohlerzogene Neunjährige ein empörender Anblick und hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Unsere Nachbarin, Frau Grode, erlitt fast einen Anfall, als sie nach Abzug der GIs aus ihrer Wohnung auf dem Herd eine vollgesch… Bratpfanne entdeckte.

Versöhnt wurde sie dann allerdings durch eine Dose Nescafe, die auch zum „Nachlass“ gehörte. Davon konnte das ganze Haus schlemmen.

Gerda Schulte, geb. Disse erinnert sich:

Das Kriegsende in Bodelschwingh

Es war Anfang April 1945, als die Amerikaner Bodelschwingh besetzten. Die letzten Wochen zuvor wurden fast nur noch im Luftschutzkeller verbracht. Im provisorischen, mit Balken abgestützten Keller der Bodelschwingher Dorfschule versammelten sich immer ca. 40 und mehr Personen. Bei dem hilflosen Gefühl sich in den Boden bohrender Bomben konnte man nur noch beten.

Von den Aufmarsch der Amerikaner bekam man zunächst nur das unheilvolle Donnern der schweren Panzer mit. Da man von Berichten über die Besetzungen der russischen Streitkräfte viele schlimme Geschichten gehört hatte, war die Stimmung ängstlich und bedrohlich. Dass unter den Amerikanern einige Schwarze waren und man diesen fremden Anblick kaum kannte, verstärkte die Sorge. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Sorgen unbegründet waren.

Die Amerikaner besetzten in Bodelschwingh einige Häuser. Das Mobiliar wurde von ihnen entfernt und durch Feldbetten ersetzt. Im Keller des Hauses Richterstraße 22 wurde eine Funkanlage installiert. Die Bewohner der besetzten Häuser mussten bei Nachbarn Unterschlupf finden und durften ihre Häuser nicht mehr betreten. Die Richterstraße wurde ebenfalls abgeriegelt. Es gab eine Sperrstunde und nach 18 Uhr durfte niemand mehr auf der Straße sein und die Häuser durften erst wieder um 7 oder 8 Uhr verlassen werden. Die von den Bomben zum Teil zerstörten Häuser wurden provisorisch abgedichtet, Fenster waren zersplittert, Decken herunter gefallen.

In den letzten Kriegstagen brach die Lebensmittelversorgung komplett zusammen. Wo man ehemals mit Essenmarken noch ein karges Mittagessen kochen konnte, war jetzt nichts mehr vorhanden. Die Bodelschwingher halfen sich gegenseitig, teilten ihre verbliebenen Vorräte und die wenigen geernteten Nahrungsmittel von Feldern und Gärten.

Nach ungefähr einer Woche zogen die Besatzungsmächte aus Bodelschwingh ab und die Bewohner konnten wieder in ihre Häuser. Nur ein kleine Truppe blieb zurück. Die suchte unseren Ort nach Blindgängern ab. Was sie in unserer Nähe gefunden hatten, haben sie dann in den Feldern hinter der Richterstraße gesprengt. Dadurch ging der Rest der Fensterscheiben auch noch zu Bruch.
Das Schloss Bodelschwingh wurde von den Amerikanern zur Plünderung durch die Bevölkerung freigegeben.

Danach hat mir Johanna Schulz von der Deininghauser Straße erzählt:
Fünf deutsche Soldaten, etwa 18 Jahre alt, waren von ihrer Truppe „getürmt“ und hatten bei ihr im Keller Schutz gesucht. Alle Keller wurden durchsucht. Sie wurden gefunden, von den Amerikanern mitgenommen und an der Hausecke erschossen.