Brisantes Thema zum Auftakt der Veranstaltungsreihe des Kultur- und Bildungsparks
Der Kultur- und Bildungspark lud ein und viele Besucher erschienen – unter ihnen zahlreiche Kommunalpolitiker aus unserem Stadtbezirk. Thomas Tölch als Vereinsvorsitzender und Axel Torka, Ideengeber und Lehrer am Heinrich Heine Gymnasium, eröffneten die Veranstaltung und munterten die Besucher zu zahlreichen Wortbeiträgen und zu einer offenen und fairen Gesprächs- und Streitkultur auf.
Dann übernahm Nazi-Aussteiger Sascha (35 Jahre) das Wort und schilderte seine facettenreiche Biografie (Hinweis der Redaktion: Es gab ein Vielzahl von Fragen und Beiträgen aus dem Zuhörerkreis. Zur besseren Lesbarkeit sind einige Antworten in unserer Schilderung seiner Biografie bereits berücksichtigt).
Die Jugendzeit
Aufgewachsen im Ruhrgebiet in einer bürgerlichen Familie („wie die meisten von uns“), beide Eltern berufstätig und deshalb früh auf sich allein gestellt. Defizite in Sachen Erziehung, soziale oder finanzielle Benachteiligung sowie Bildungsbeschränkungen schließt er für sich aus. Warum dann also das Abgleiten in die rechte Szene?
Früh entwickelte sich bei ihm eine große Leidenschaft zum Fußballsport. „Seinen Verein“ unterstützte er bereits im Alter von 12 Jahren bei Heimspielen. Danach durfte er in Begleitung eines Erwachsenen auch zu Auswärtsspielen fahren. Im Fanbus fuhr eine Gruppe von 5-6 Personen mit, die – obwohl nur als kleine Minderheit – jedoch mit ihrer auffälligen Erscheinung (Skinhead-Look) und den offensichtlich rechten Gesangsinhalten, hohe Aufmerksamkeit erzeugten. Sascha war davon angetan. Später in der 9. Klasse stieß ein neuer Schüler hinzu, der keinen Hehl aus seiner rechten Gesinnung machte und dies auch in Form von Aufnähern mit rechtsnationalen Symbolen und Zeichen offen zur Schau stellte. Zu diesem Zeitpunkt versperrte sich Sascha bereits jeglichen Zugang zu sozialen Botschaften von Lehrern, Eltern oder Mitschülern, wurde in seiner Schulklasse ausgegrenzt und näherte sich dem „neuen“ Schüler an. Darüber erhielt er Zugang zu „Hatecore“-Musik der Marken „Störkraft“ und „Nahkampf“ und zum ersten Kameradschaftsabend im Hinterzimmer einer Gaststätte. Diese dienten der Organisation von Demonstrationen, Flugblattaktionen und Infoständen. Über Anwendung von Gewalt gegenüber Andersdenkenden, die natürlich zum Tagwerk der Rechtsextremisten gehört, wurde nur unter vorgehaltener Hand sehr „subtil“ gesprochen. Sascha war nun „mittendrin“.
Reaktionen auf Nachwuchsmangel
Mitte der 90er stockte der Zulauf von „Jungnationalisten“ und man schaute in den Spiegel: Das äußere Erscheinungsbild im Skinheadlook und die verbreiteten Parolen mit Begriffen wie „Arbeitslager“ schienen abschreckende Merkmale für Neurekrutierungen zu sein. Also machte man damit Schluss, änderte sein Outfit und die Parolen in „Anti“-kapitalismus, -kommunismus, -semitismus etc. Der Look der Linksautonomen wurde kopiert und der Fußball weiter als Bühne missbraucht.
Die Nationalsozialistische Ideologie wurde in Schulungen vermittelt. Referate mit Inhalten wie z.B. „Wie münze ich das Parteiprogramm der NSDAP auf heutige Verhältnisse um?“. IT-Kurse zur Verschlüsselung von Internetspuren, die Schulung der Bürgerrechte und das Ausnutzen von Schwächen unserer Gerichtsbarkeit standen regelmäßig auf dem Programm. So berichtete Sascha über lächerlich milde Gerichtsurteile („Sozialstunden“, Freisprüche, Einstellung des Verfahrens) für vergleichbar schwere Straftaten (Körperverletzung). Auch er stand häufig vor Gericht, kam meistens glimpflich davon und konnte die Grenzen der wirksamen Strafverfolgung antesten. Seine Eltern ließen ihn auch angesichts seiner Straftaten nicht fallen.
Sascha begann nach der 10. Klasse eine Berufsausbildung. Damit war er einer der wenigen in seiner Kameradschaft mit einer geregelten Arbeit. Nach Feierabend widmete er sich komplett den rechtsradikalen Aktivitäten als quasi „24-Stunden-Job“. Seine Kameradschaft war – bis auf eine Person, die aus Rachegelüsten ins linksautonome Lager überwechselte (!) – gefestigt, bestand aus 50-60 Mitgliedern und konnte zu besonderen Aktionen innerhalb von 2-3 Stunden 120 – 150 Anhänger aus den Nachbarstädten mobilisieren.
Wurden im Umfeld unliebsame politische Gegner ermittelt, kam es zu abgestuften Gewaltanwendungen. „Zunächst warf man Knallkörper in den Briefkasten, danach zielte man mit Steinen auf Fensterscheiben oder beschädigten das Auto. Zuletzt wurde ein Überfallkommando gebildet, das nachts maskiert körperliche Angriffe auf die Person verübte“ erinnert sich Sascha. Klar, dass dabei das regelmäßig praktizierte Kampfsporttraining hilfreich war.
Frauen verkörperten in der Kameradschaft die „klassische“ Rolle. Sie durften auf den Veranstaltungen Getränke ausschenken, Imbisse servieren aber auch Flugblätter verteilen, wenn sie sich – wie jeder andere auch – „hochgearbeitet“ hatten.
Das Umdenken
15 Jahre rechtsradikal, der Ideologie treu ergeben, kriminellen Machenschaften zugetan. Aber die versprochene „Wende“ hin zur Volksgemeinschaft im Sinne eines „4. Reiches“ kam nicht. Das hoch angehängte Wertmuster der nationalsozialistischen Ideologie wie Ehre, Anstand, Treue (gegenüber seiner Partnerin/Ehefrau) und Pflichtbewusstsein wurde in den eigenen Reihen nicht gelebt („es gab unsinnigen Vandalismus, Fremdgehen und Zechprellen selbst in der Tagungsgaststätte“).
Es entwickelte sich das Gefühl, auf dem Irrweg zu sein. Sein „ideologisches Kartenhaus“ brach zusammen. Es begann ein schleichender Prozess der Umorientierung. Sascha nahm dann nicht mehr an jedem Kameradschaftsabend teil, entschuldigte sich – „ich bin auf Montage“ – und zog sich sukzessive zurück. Ihm fehlte in dieser Situation ein Gesprächspartner – er fiel in ein tiefes Loch – Depression?
EXIT-Deutschland* hilft beim Ausstieg
Sascha ging auf Exit Deutschland zu, um „auszusteigen“. „Man muss aktiv auf Exit zugehen, um die Ernsthaftigkeit des Ausstiegs zu beweisen. Niemand von Exit würde aktiv – z.B. auf einer Demo – auf Rechtsradikale zugehen und versuchen, sie zu „bekehren“. Er bekam einen „Fallbetreuer“ zugeteilt – sein neuer Gesprächspartner war da. Der Ausstieg nahm seinen Lauf.
Nachbetrachtung
Im Publikum machten sich dennoch deutlich spürbar gemischte Gefühle breit. Warum?
Auf die Frage, dass der Zusammenbruch seines ideologischen Kartenhauses doch nicht allein der Grund für den Ausstieg sein kann, kamen nur Ausflüchte wie „soll ich jetzt einen Kniefall vor meinen Kritikern machen?“. Die Zuhörer vermissten ein Anzeichen von kritischer Wertung seiner verwerflichen Taten, die er immerhin im Kreise einer kriminellen Vereinigung begangen haben wird, geschweige denn irgendwelcher Reuegefühle. „Mein Auftritt auf dieser Veranstaltung ist doch Beweis genug für die Ernsthaftigkeit meines Anliegens“.
Frage: „Wo stehen Sie denn jetzt politisch?“ Antwort: „Ich bin jetzt unpolitisch – pflege lediglich den politischen Diskurs. Alle Parteien sind „Scheiße“ und „gehen mir am Arsch vorbei“. Damit konnte er natürlich bei den anwesenden Kommunalpolitikern nicht punkten – aber das wollte er wahrscheinlich auch gar nicht. Leider gaben einige Ausführungen zur Alternative von Deutschland (AfD) Anlass zur Vermutung, ob in ihm nicht doch noch rechtspopulistisches Gedankengut schlummert.
Positiv betrachtet hat die rechte Szene ein Mitglied weniger. Sascha muss sich nun in seiner Heimatstadt zum Schutz seiner eigenen Gesundheit sehr vorsichtig bewegen und die potenziellen Treffpunkte rechter Gewalttäter meiden. MENGEDE:InTakt! wünscht ihm dabei, allseits die richtigen Entscheidungen für sein Wohlergehen zu treffen.