Alles oder nichts

Was darf die Satire?Unglaube

Diese Frage wird in der letzten Zeit intensiv und kontrovers diskutiert.
Viele beziehen sich dabei auf Kurt Tucholsky, der unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel am 27.1.1919 im “Berliner Tageblatt“ zur selbst gestellten Frage schrieb: „Alles!“

Tucholsky hatte in seinen Überlegungen bedauert, der „Einfluss Krähwinkels“ habe die deutsche Satire in ihre „so dürftige Grenzen“ gehalten. An große Themen, „an all die deutschen Heiligtümer“ so Tucholsky, wage sich niemand mehr heran, „an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettwanstigen Unternehmer und an den näselnden Offizier“.
All jene, die jetzt in unserem Lande erklären, sie seien „Charlie“, erklären sich implizit wohl auch mit der von Tucholsky gegebenen Antwort einverstanden. Ein kleiner Rückblick in die junge Geschichte der Bundesrepublik weckt Zweifel, ob diese Haltung den Praxistest tatsächlich überstehen würde. Es waren bekannte Unions-Politiker, die Ende des vorigen Jahrhunderts Schriftsteller erst als Pinscher und Banausen, dann als Ratten und Schmeißfliegen beschimpft haben. Dabei hatten sich diese Schriftsteller eigentlich nur besorgt zur politischen Lage geäußert. Heinrich Böll und Günter Grass – beides spätere Nobelpreisträger; Josef Reding – bekennender Bürger des Ruhrgebiets – ebenso wie Max von der Grün gehörten dazu, und sie waren weit davon entfernt, die politische Klasse mittels Satire zu attackieren.

Was darf Satire? Satire wird zunächst einmal durch die Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz und durch die Kunstfreiheit, Art. 5, Abs. 3 Grundgesetz geschützt. Dem steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht entgegen, welches gewährleisten soll, dass jede/r selbst bestimmt ist. Eindeutig ist z. B. das Ergebnis des Gerichtsverfahrens einer 16 jährigen Schülerin, über deren Namen Stefan Raab im Jahr 2001 im Fernsehen zahlreiche Pornowitze riss. Vor Gericht wollte Raab das als „zulässige Satire“ verstanden wissen. Er kam damit aber nicht durch, da weder „zulässig“ noch „Satire“ vom Gericht akzeptiert wurden. Die Folge: 70.000 Euro Schmerzensgeld und eine Therapie für die junge Frau. Fazit: Kommt es zu Grenzüberschreitungen, kann man sicher sein, dass die Gerichte die Persönlichkeitsrechte höher einschätzen als die Kunst- bzw. Meinungsfreiheit.

Besonders sensibel sollte Satire mit religiösen Themen umgehen. Diese sind in Deutschland zwar nicht dem Meinungsstreit entzogen, werden jedoch weit zurückhaltender praktiziert als z. B. in Frankreich. Gleichwohl: Gegen die Zeitschriften „Pardon“ und „Titanic“ wurden in der Vergangenheit zahlreiche Prozesse angestrengt u. a. mit dem Ergebnis: 28 Titanic-Ausgaben wurden verboten, Schadensersatzzahlungen brachten das Blatt an den Rand des Ruins.

Unglaube

Cartoon: Mario Lars

Auch die taz musste sich häufig vor Gericht verteidigen. Ein Verfahren ist manchem vielleicht noch in Erinnerung: Die taz hatte Jürgen Klinsmann als gekreuzigten Jesus dargestellt. Klinsmann klagte, die taz gewann den Prozess. Das Landgericht München entschied: „Die Art der Darstellung ist dem Bereich der Satire zuzuordnen. Eine reale Kreuzigung des Antragstellers steht nicht im Raum. Vielmehr wird der berufliche Niedergang des Antragstellers symbolisch dargestellt. (….) wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers durch die Art des gewählten Symbols vorliegend nicht so schwer, als dass hierdurch die Meinungsäußerungsfreiheit der Antragsgegnerin (taz, d. Red.) eingeschränkt werden könnte“.
Einen vieldiskutierten Aspekt brachte Papst Franziskus mit in die Debatte, als er von Journalisten über den Anschlag von Paris befragt wurde. Er soll gesagt haben, dass jemand, der seine Mutter beleidigen würde, die Faust ins Gesicht bekäme. Die Aussage des Papstes könnte somit im Nachhinein – bei böswilliger Auslegung – als eine Rechtfertigung für die Einführung des Faustrechtes und damit der Selbstjustiz verstanden werden, denn die Bluttat von Paris wurde wegen angeblicher Beleidigung ausgeübt.
Natürlich kennt das deutsche Strafrecht auch den Tatbestand der Beleidigung; der ist jedoch beschränkt auf überprüfbare Definitionen wie „ehrverletzende Tatsachenbehauptungen“ oder „beleidigende Werturteile“. Insoweit ist vom Staat nicht zu verlangen, auf Beleidigungsempfinden von Christen einzugehen, wenn das Titelblatt der „Titanic“ Papst Benedikt XVI als inkontinent darstellt. Gleiches gilt, wenn Abbildungen Mohammeds als Beleidigung des Propheten empfunden werden – beides ist nach unseren derzeitigen Gesetzen irrelevant.
Wilfried Schmickler, scharfzüngiger Kritiker bestehender Verhältnisse, meinte kürzlich: „Wenn Satire alles darf, muss sie dann auch alles tun?“
Und selbst Tucholsky war sich seiner Sache wohl nicht ganz so sicher, denn er stellte in seinen Überlegungen zur Satire auch fest, dass sie eine durchaus positive Sache sei, aber: „Nirgends verrät sich der Charakter schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, der heute den angreift und morgen den.“
Fazit: Satire darf zunächst mal alles, sollte aber nicht alles tun. Und all diejenigen, die heute laut aufheulen und Meinungsfreiheit einfordern, sollten überlegen, ob sie das auch noch tun, wenn sie persönlich betroffen sind. Wie auch immer: Alle Versuche von Selbstjustiz bei eigener Beleidigungsempfindung sind mit dem Gewaltverbot eines Rechtsstaates unvereinbar.