Kapitel I: Der große Krieg und die kleinen Fluchten
1937 – 1947
Vorbemerkungen:Peter Grohmann – Jahrgang 1937 – , Kabarettist und Schriftsteller, Kämpfer gegen Obrigkeitsglauben, Gehorsam und Standesdünkel hat seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben und 2013 veröffentlicht. Das Buch umfasst auf 320 Seiten acht Kapitel. Jedes Kapitel erinnert mit „Denkzetteln“ an deutsche Geschichte – im jeweils 10-jährigem Rhythmus – eine Mischung aus Persönlichem und Politischen und meist aus beidem zugleich.
Wir beginnen den Abdruck mit zwei Auszügen aus dem Kapitel I Der Große Krieg und die kleinen Fluchten 1937 – 1947.
Denkzettel 1
Breslau liegt zwischen Berlin, Prag, Budapest und Warschau. 1000 Jahre hat die Stadt auf dem Buckel – Heimat für Juden, Polen, Preußen, Böhmen, Russen, Alemannen, Sachsen, Wasserpollacken, Schlawiner, Habenichtse, Möchtegerne, arme Schweine und reiche Ferkel.
Zweimal wurde Breslau verwüstet – beim Mongolensturm 1241 und 700 Jahre später, beim Nazisturm. Das heißt – eigentlich war es kein Sturm, eher ein Schwelbrand, der unter den Teppichen begann, unter die man alles Heiße kehrte.
Die Nazis, eine gewählte Sippschaft, machten Breslau 1944/1945 unter dem Jubel ihrer Einwohner zur Festung gegen die anrückende Rote Armee. Vorher hatten die Breslauer ihre 51 000 Juden nach Riga und Theresienstadt, nach Sobibor, Majdanek und Auschwitz geschickt. Ihre? Jo. Die Juden waren Breslauer seit 1203. Zwischen 1203 und der Neuzeit wurde der eine oder andere gelegentlich verbrannt von den Christen, aber fast ausgerottet wurden sie, mit dem Segen der Kirchen, erst 750 Jahre später. 1937 lebten 630 000 Breslauer in Breslau. Und ich.
Breslauer? Zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer, Paul Ehrlich, Gerhart Hauptmann, Max Born, Angelus Silesius, Ferdinand Lassalle, Hans Aßmann von Abschatz, Gertrude Stein, Adolf Menzel, meine Mutter, Heinrich Graf Yorck von Wartenburg, Alfred Kerr, Otto Klemperer, Joseph Schmidt, Fritz Sternberg, Günter Anders, Heinrich Albertz, Ferdinand Sauerbruch, Marek Krajewski, Karl Hanke und Anita Lasker-Wallfisch. Sie war die einzige Überlebende des Mädchenorchesters Auschwitz.
Joseph Schmidt hat mir schon als Kind gefallen. Wir hatten daheime ein Grammophon – mit Kurbel. Schmidt war kinderlieb. Der Sohn deutschsprachiger Juden studierte an der Musikschule Breslau und der Königlichen Musikschule Berlin. Schallplatten, der Tonfilm »Ein Lied geht um die Welt«, Rundfunksendungen und Konzerte machten ihn bekannt und beliebt. Die Breslauer vertrieben Schmidt 1933 aus Breslau und sagten später, das seien die Nazis gewesen. Er floh nach Frankreich, wurde interniert, bis ihm 1942 die Flucht in die Schweiz glückte. Pech gehabt.
»Ohne Geld biste ohne Freunde und iberall verlorn«, wusste meine Omi Glimbzsch aus Zittau. Joseph Schmidt schlug sich als Waldarbeiter durchs restliche Leben in den Tod. Er starb aufgrund mangelnder medizinischer Betreuung seines Herzleidens, und ich träumte von Alpenmilchschokolade und glücklichen Kühen. Auf den meisten Schallplatten, den alten und neuen Tonträgern, fehlt der Hinweis auf solche Schicksale. Schmidt heißen viele.
Denkzettel 3
Irgendwo an einem der alten Breslauer Bürgerhäuser, so erzählte mir mein Freund Janusz Witt, Breslauer in Wrocław, haben die Bewohner eine Tafel an ihre Tür genagelt: »Hier lebte bis zum Jahr 1946 die Familie Schneider. Seit 1947 lebt hier die Familie Szymansky. Beide Familien sind befreundet.«
»Bei den Juden gekauft ham wa immer«, erzählte meine Mutter. »Die ließen einen nie ungekauft raus aus ihr’m Laden. In mei’m Schwimmverein warn etliche jüdische Mädel, etliche! Bildhübsch. Die Kerle hätten se ja gerne vernascht. Bisse halt nich mehr kamen, eines Tags. Da mussten wir ohne die schwimmen … .
Zu Hause? Nu, zu Hause warn wa ja alle sozialdemokratisch, bei den Assmanns. Und bei den Grohmanns ooch. Der Emil Grohmann war ja mit dem Löbe Paule im Stadtrat von Breslau. Nu klar, der war ja Präsident oder so. Der saß öfters am Tische beim Emil, da hamse politisiert, auch euer Vater. Ach Gottchen, was hamse den gekascht! Als obbers druff abgesehn hätt! Saß andauernd im Loche. Die wollten ihn halt kleinekriegen. Der Löbe sagte immer zu deim Vater: ›Geh in die Polizei, mein Junge, da brauchen wir welche wie dich.‹
Bei den Polizisten waren ja viele SPD. Als die Nazis dranwollten, hätten die bei der Polizei immer auf ein Signal aus Berlin gewartet, erzählte der Erich später, um die zu verbieten oder so. Rechtzeitig, vastehste? Die ham auf einen Wink von oben gewartet, von der Führung.«
Sozialdemokraten winken nicht.
Mein Eid, dein Eid.
Der Eid auf den Führer: »Ich schwöre bei Gott den heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.«
Die Mutter: »Wir wohnten in der Polizeisiedlung in Krietern. Damals brachte der Erich paar Mal Leute mit nach Hause. Juden. Die ham sich bei uns getroffen und bei uns übernachtet, kannsta ja denken … Der Möbelhändler Hübner und seine Freundin. Von dem ham wa das Schlafzimmer gekooft. Der Hübner hat sich ja dann noch rechtzeitig absetzen können. Manchen hat der Papa Papiere zugeschoben, damit se türmen konnten.«
Was sind schon falsche Papiere, wenn man sich den Vater als Partisanen wünscht?
Nachwort:
MENGEDE:InTakt! wird in den nächsten Wochen weitere Auszüge aus dieser Biographie abdrucken und bedankt sich beim Autor für die großmütige Erlaubnis. „Eine kurzweilige und vergnügliche Lektüre, bei der einem mitunter durchaus das Lachen im Halse stecken bleiben kann“. (Klappentext der Biographie))