Ein Kommentar
von Klaus Neuvians
Was hat Stuttgart 21 mit Nette zu tun? Die Frage ist nicht nur rhetorisch gemeint, wie gleich zu sehen ist. Erbittert stehen sich dort Befürworter und Gegner gegenüber. Für die Gegner von Stuttgart 21 ist klar: Alle Zahlen, die den Ausbau des Bahnhofes belegen, sind getürkt – vor allem die Zahlen der voraussichtlichen Kosten und der künftigen Kapazitäten.
Den Befürwortern ist nach Auffassung der Gegner kein Trick zu billig, um den Eindruck zu vermitteln, alles sei in Ordnung.
Das ist es in Stuttgart nicht und das ist es in Nette ebenfalls nicht.
In Nette wird die Rechtmäßigkeit des Presbyteriums-Beschlusses nicht angezweifelt, starke Zweifel bestehen jedoch, ob die Zahlen und Fakten, die dieser Entscheidung zugrunde liegen, so eindeutig sind, wie bisher behauptet. Zweifel bestehen vor allem, dass die vorliegende Entscheidung alternativlos war. Die lautet bekanntlich: Die Kirche in Nette wird umgewidmet, der Kirchturm wird abgerissen. *
Dieser Beschluss darf offensichtlich nicht mehr hinterfragt werden, und die Verantwortlichen scheinen an einer Klärung der offenen Fragen nicht interessiert zu sein. So heißt es z.B. einmal, für den Erhalt der Gebäude müssten 600.000 Euro aufgewendet werden, ein anderes Mal sind es nur noch 300.000 Euro. Oder: Auf die nicht unwichtige Frage, welche Ersparnisse die einzelnen Gemeinden beim Noah-Zusammenschluss mit in den Verbund eingebracht haben und für welche Maßnahmen diese Gelder in der Vergangenheit verwendet worden sind, kann oder will niemand Auskunft geben.
Aber es müsste den Mitgliedern des Noah-Presbyteriums klar geworden sein: Solange keine plausiblen Zahlen vorgelegt werden, wird es keine Ruhe geben. Wer hindert die Verantwortlichen in der Noah-Gemeinde und im Vereinigten Kirchenkreis (VKK) eigentlich, die Daten und Fakten offen zu legen, die der Entscheidung des Presbyteriums zugrunde gelegen haben.
Deswegen ist es schon erstaunlich, dass sich alle Mitglieder aus dem Presbyterium auf diese Strategie einlassen. Ein souveränes Vorgehen sieht anders aus. Auch wäre eigentlich zu erwarten, dass die PfarrerInnen der Noah-Gemeinde sagen: Stopp – es gibt berechtigten Klärungsbedarf; wir wollen versuchen, die Klärung nach bestem Wissen und Gewissen herbeizuführen.
Fazit: Als Mitglied des Bläserchores der Noah Gemeinde nehme ich in diesen Tagen häufig an kirchlichen Veranstaltungen teil. Die Welt, die mir bei diesen Veranstaltungen predigend erklärt wird, hat mit derjenigen, die in der offiziellen Noah Gemeinde derzeit gelebt wird, nichts zu tun.
Die örtliche Politik hat bereits in einer einstimmigen Resolution der Bezirksvertretung vom 14.9.2016 zum Ausdruck gebracht, was sie von der Entscheidung hält. Diese Resolution dürfte nicht reichen, denn sie hat offenbar keinerlei Eindruck hinterlassen. Man weiß nicht einmal, ob sie überhaupt gelesen wurde.
Nette erinnert stark an Westerfilde. Hier hat sich die Politik auch zunächst mit dem Hinweis herausgehalten, es handele sich um private Versäumnisse der Wohnungsunternehmen. Nette hat sich dank mannigfacher struktureller Stützungsmaßnahmen stabilisiert, aber die Lage ist sehr fragil, wie der Apotheker Dr. Mönninghoff – ein Mitglied des Arbeitskreises – und der sich seit langem für eine Aufwertung und Anerkennung der „Kolonie“ einsetzt – bestätigen kann.
In Westerfilde versucht die Stadt inzwischen gegenzusteuern. Seit Anfang des Jahres gibt es konkrete und erhebliche Bemühungen, die Qualität des Zentrums aufzuwerten. Es gibt ein sog. Quartiermanagement, das erfolgreiche Arbeit leistet.
Soweit sollte es in Nette nicht kommen – und deswegen gibt es nach den Erfahrungen mit Westerfilde auch eine vorausschauende Verantwortung der Politik. Sie kann sich aus der Sache nicht heraushalten.
Wie geht es weiter?
Jedenfalls nicht so, dass auf der einen Seite die Mitglieder und Sympathisanten des Arbeitskreises als Nörgler und Querulanten und die Mitglieder des Presbyteriums als Lügner und Betrüger verunglimpft werden.
Die Positionen haben sich inzwischen derart verhärtet, dass es notwendig erscheint, ein Schlichtungsverfahren zwischenzuschalten. Wer nach mehr als einem Jahr noch meint, es gebe in den anstehenden Entscheidungen nur „schwarz oder weiß“, der sollte seinen Job an den Nagel hängen. Aber es sieht nicht so aus, dass die streitenden Parteien aufeinander zugehen könnten, gar nicht davon zu sprechen dass seitens der Kirchenvertreter überhaupt der Versuch unternommen wird, die Beschlusslage zu überdenken.
Schwer verständlich – aber so ist es!
In Stuttgart scheint die Phalanx der Befürworter zu bröckeln, denn jetzt hat sich auch Bahn-Konzernchef Rüdiger Grube deutlich von dem Vorhaben distanziert. Nach Informationen von „Spiegel“-online“ erklärte er in der letzen Woche: “Ich habe Stuttgart 21 nicht erfunden und hätte es auch nicht gemacht“.
Ärgerlich wäre es, wenn demnächst neugewählte Mitglieder des Presbyteriums oder der/die ein oder andere der PfarrerInnen sagen müssten: „Ich habe den damaligen Beschluss nicht erfunden und hätte es so auch nicht gemacht!“
Berichtigung: Ein aufmerksamer Leser hat uns darauf hingewiesen, dass die Formulierung im vorstehenden Beitrag: „Die Kirche in Nette wird umgewidmet, der Kirchturm wird abgerissen“, nicht ganz richtig ist. vielmehr lautet der Beschluss:“Die Kirche wird entwidmet, der Kirchturm wird abgerissen“.