Am Montag dieser Woche haben wir auf MENGEDE:InTakt! als Gedicht der Woche das von Paul Reding verfasste Gedicht
Weihnachten 2016
veröffentlicht. Unser Redaktionsmitglied Diethelm Textoris hatte es ausgesucht und zur Veröffentlichung vorgeschlagen. Von ihm stammt auch der folgende Nachtrag.
Nachtrag
zum Gedicht ‚Weihnachten 2016‘ von Paul Reding
Als ich am späten Montagnachmittag das Gedicht für MENGEDE:InTakt! auswählte, war es wegen des weihnachtlichen Bezugs und seiner politischen Aktualität. Wie aktuell es ist, merkte ich erst im Laufe des Abends.
Eine Stunde später geschah der Anschlag mit dem LKW auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Da war sie vorbei, die „fröhliche Weihnacht“. Plötzlich waren aus den verhaltenen Tränen zum Gedichtende die konkreten Tränen der verletzten Opfer, der Hinterbliebenen der Toten und der Mitfühlenden in der Gesellschaft geworden.
Was sich bei mir einstellte, war Fassungslosigkeit, ein Gefühl der Ohnmacht und wieder einmal die Frage, wo die Menschlichkeit geblieben ist, wenn unschuldige Personen wahllos Opfer einer brutalen Gewalt werden.
Und trotzdem: Wir sollten uns unsere Art zu leben, unsere offene und freie Gesellschaft nicht kaputt machen lassen. Denn dann hätten die Feinde unserer Gesellschaft ihr Ziel erreicht. Sicher, jetzt werden sie wieder laut, die Stimmen der Personen, die alles so haben kommen sehen, die alles vorher wussten, ganz schnell mit Schuldzuweisungen sind und auch gleich Patenlösungen präsentieren. Die aus dem furchtbaren Geschehen politisches Kapital schlagen wollen.
Lasst uns weiter auf die besonnenen Stimmen hören. Komplexe Probleme löst man besser gemeinsam, am besten mit unseren europäischen Partnern. Besser durch Nachdenken und besonnenes Handeln, als durch spontanen Aktionismus. Dichte Grenzen können keine Lösung sein, Terroristen werden immer Schlupflöcher finden. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Natürlich muss alles getan werden, damit die Täter gefasst und bestraft werden. „So hart es unsere Gesetze verlangen“, hat die Kanzlerin gesagt. Ja, wir haben die gesetzlichen Grundlagen. Strafverschärfungen bringen da kaum etwas. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass die Todesstrafe einen Selbstmordattentäter abschrecken könnte?
Diethelm Textoris
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Weihnachten 2016
von Paul Reding
Wie gern möchte ich
Weihnachten heute
fröhlich besingen.
Kann es gelingen?
Ich bin überfragt.
Nicht weil der Glaube
schwächlich.
Not leide ich auch nicht.
Ich fühle mich
gesundheitlich wohl.
Mein Einkommen
reicht aus. Zank und Streit
meide ich rigoros.
Aber da draußen in der
Welt nehmen Ausbeutung,
Verfolgung, Folter und Krieg
dreist ungestraft zu.
Hassprediger suchen
willfährige Opfer.
Hungersnot und Durst rotten
ganze Landstriche aus.
Die Gesetzlosigkeit der
Straße trifft auch uns.
Drogenbosse, Waffenschieber
und Kriegstreiber
gehen über Leichen.
Wie kann ich, wie können
wir da noch Weihnachten
fröhlich besingen?
Wir müssen es tun,
aber mit Tränen
in unseren Augen.