Buchempfehlung: Falsche Versprechen

Philipp Staab:

Falsche Versprechen – Wachstum im digitalen Kapitalismus

Der Autor beschreibt und analysiert im kürzlich in der Hamburger Edition erschienenen Buch am Beispiel der „Stars der Digitalen Ökonomie“ – das sind u.a. Google, Apple und Amazon – deren Unternehmenspolitik und den Versuch, „die systematische Nachfrageschwäche des gegenwärtige Wirtschaftssystems durch Rationalisierung des Konsumtionsapparates zu überwinden“.

Wie das passieren soll? Die Verbraucher sollen immer und überall shoppen und damit in weniger Zeit mehr konsumieren können. Da ist Ph. Staab sehr vorsichtig, denn er glaubt, dass die Rationalisierung des Konsums die Nachfrageschwäche, die den Kapitalismus der Gegenwart prägt, weiter verschärfen wird. Nach bisherigen Erfahrungen erzeugen die Strategien, die den Konsum effizienter machen sollen, Lohndruck und kannibalisieren beschäftigungsintensive Branchen.

Als Beispiel mag der Warenhandel über Internetplattformen genügen. Dem Wachstum dieser Branche stehen stehen massive Einbußen des traditionellen Einzelhandels gegenüber. Amazon-Beschäftigte verdienen weniger als Beschäftigte im Einzelhandel, sind strengen betrieblichen Herrschaftsmechanismen unterworfen – und es werden insgesamt weniger Arbeitskräfte gebraucht, wenn der dezentrale, stationäre Einzelhandel schrumpft.

Die weitere Digitalisierung unserer Ökonomie ist ein spannendes Thema; spannend zumindest für zwei gesellschaftliche Gruppierungen: Die eine verbindet mit den digitalen Innovationen die Hoffnung auf einen nachhaltigen Wachstumsschub, indem die neue Roboter-Generation die industrielle Produktion weiter revolutionieren, zugleich aber in weiten Dienstleistungsbereichen eingesetzt werden soll. Dass die entstehenden neuartigen Geschäftsmodelle die bestehenden Strukturen nachteilig verändern, wird billigend in Kauf genommen.

Die andere Gruppierung befürchtet einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen und die Zunahme der bisher schon bestehenden sozialen Ungleichheit, denn in der so geplanten Arbeitswelt der Zukunft dürfte es keine Bindung mehr an die Unternehmen mit der damit verbundenen sozialen Sicherung der Beschäftigten geben. Wenn in der „old economy“ die Themen Mitbestimmung, Arbeitsrecht und Teilhabe an Sozialversicherungssystemen Bestandteil eines Arbeitsverhältnisses zu einem Betrieb waren, haben sich in den o.g. „Leitunternehmen der Digitalisierung“ Arbeitsmodelle entwickelt, bei denen Internetplattformen den Zugriff der Firmen auf Arbeitskräfte ermöglichen, ohne dass den Firmen Kosten für eine bisher übliche „betriebliche Bindung“ entstehen.

Rund um die digitalen Geschäftsmodelle werden Arbeitsplätze neu entstehen, aber auch vielfach wegfallen. Die digitalen Businessmodelle produzieren vor allem zwei Jobtypen: Sehr gut bezahlte Tätigkeiten für wenige Technologie- und Marketingexperten im oberen Teil, die mit erheblichen Autonomiespielräumen ausgestattet sind.Unten werden digitale Organisationsmodelle genutzt, um rigide technische Kontrollinstrumente einzuführen und direkt die Arbeitsläufe zu bestimmen – formal Selbstständige sind von dieser Entwicklung nicht ausgenommen.

Zu Recht stellt der Autor die Frage, ob die neuen Technologien als eine Quelle ökonomischer Prosperität zu sehen sind oder ob sie möglicherweise massive soziale Verwerfungen erzeugen, wie wir bei anderen wirtschaftlichen Modernisierungsschüben gesehen haben. Erhebliche soziale Verwerfungen sind für ihn schon heute erkennbar, ohne dass ersichtlich ist, an welcher Stelle durch die Rationalisierung der Konsumtions- und Distributionsapparate Wachstum erzeugt werden kann.
„Die Verheißungen des digitalen Kapitalismus sind im Begriff, sich als falsche Versprechen zu entpuppen.“ (S. 125)

Das in sechs knappen Kapiteln gegliederte und gut zu lesende Büchlein, das der Autor selbst als Essay bezeichnet, kann jedem zur Lektüre empfohlen werden, der den Verheißungen des digitalen Kapitalismus eher skeptisch gegenübersteht.

Zum Autor:
Philipp Staab, Dr. rer. pol., ist Soziologe und war von 2008 bis Mitte 2016 am Hamburger Institut für Sozialforschung beschäftigt. Seit September 2016 ist er Mitarbeiter am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit (igza.org). Seine Forschungsschwerpunkte: Wandel der Arbeitswelt, Soziologie sozialer Ungleichheit, politische Soziologie, digitaler Kapitalismus. In der Hamburger Edition erschienen: Macht und Herrschaft in der Servicewelt (2014).