Rainer Wendt:
Deutschland in Gefahr
Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt
(Eine Buchbesprechung)
Rainer Wendt macht mal wieder viel von sich reden. Aber darum geht es im folgenden nicht. Es geht um die Besprechung seines Ende 2016 erschienen Buches.
Ein gutes Buch zu lesen ist meist mit Spaß verbunden. Der Spaß wird gemindert, wenn man sich vorgenommen hat, eine Besprechung über das Gelesene zu schreiben. Ein weniger gutes Buch zu lesen, bedeutet weniger Spaß, aber noch weniger erbaulich ist es, über das schlechte Buch dann eine Besprechung zu schreiben. Das ist die Ausgangslage für die Besprechung über den Spiegel- Bestseller von Rainer Wendt: Deutschland in Gefahr Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt.
Der Autor Rainer Wendt ist seit 2007 Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), einer Mitgliedsgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund. Obwohl seine Gewerkschaft mit ca. 60.000 Mitgliedern erheblich kleiner ist, als die zum DGB gehörende Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit ca. 175.000 Mitgliedern, gilt der Autor in der Öffentlichkeit als der lauteste Polizist Deutschlands. („Der Spiegel“). Ob das ein Lob ist, mag dahingestellt sein. Kritiker werfen ihm jedenfalls vor, er würde sich bei seinen Auftritten allzu häufig in die Nähe der Rechtspopulisten begeben.
Doch zurück zum Buch. Es ist ein Buch mit einem reißerischen Titel und es passt wunderbar in die Zeit, in der es vielen darum geht, Angst und Unsicherheit zu verbreiten. Lohnenswert ist die Lektüre nicht, denn das Buch ist inhaltlich dürftig, auch weil es dem Autor nicht auf gesicherte Fakten ankommt.
Hier ein paar Beispiele:
„Wenn nichts geschieht, werden die Gefahren für unser Land täglich größer. „
Das ist meistens so, wenn nichts geschieht. Aber um welche Gefahren es sich handelt und wie man ihnen begegnen kann, bleibt offen.
„Aber mindestens genau so gefährlich sind diejenigen, die diesen Staat und seine Organe nicht mehr ernst nehmen.“
Wer mag das sein? Türken, Araber, Nordafrikaner, Linke, Sozis, Grüne? Asylanten, Migranten? Bayern, Sachsen?
„Man mag es lustig finden, wenn eine Mandatsträgerin an einem Tag kreischend und aggressiv auf irgendwelchen Gleisen sitzt und die Polizei nervt, am nächsten Tag in den Talkshows greinend ihre Betroffenheit darstellt und dann wieder als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags mit todernster staatsbaulicher Miene die Würde des Parlaments vertreten will. „
Gemeint ist vermutlich Claudia Roth. Die Grünen sind offenkundig nicht seine Freunde, denn von denen hört Wendt „soviel dummes Zeug, dass ich es nicht fassen konnte. Ich dachte nicht, dass man soviel Blödsinn in so kurzer Zeit überhaupt aussprechen kann.
Für Wendt sind es: „Drogenkonsumenten, Urlaubmacher, Privilegien-Abgreifer.“
Auch die föderale Ordnung ist ihm ein Dorn im Auge. Die mühsam bewerkstelligte Föderalismusreform war mit einer Änderung des Grundgesetzes verbunden und ist daher mit satter Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat verabschiedet worden. Dazu schreibt Wendt:
„Für mich ist das, was die politischen Entscheider Föderalismusreform genannt haben, nichts anderes als purer Provinzialismus, einfach nur lächerlich.“
Schwer verdaulich seine „besorgten“ Ausführungen über den Zustand unseres Rechtsstaates. Sie ähneln denen, mit denen die Nazis in der Weimarer Zeit die demokratischen Kräfte des Landes ins Visier genommen haben.
„Dieser Rechtsstaat ist ein hohes Gut und niemand möchte ihn missen. Manchmal ist trotzdem schwer auszuhalten. In den Augen vieler Menschen Deutschland kommt er schwach und uneinsichtig, gelähmt und ängstlich, rechthaberisch und machmal fast trottelig daher.“
„Ich kann jeden verstehen, der sagt, das ist überhaupt kein Rechtsstaat mehr.“
„Die Staatsführung schert sich nicht um die Einhaltung des Rechts.“
Fehlen darf natürlich nicht die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, an der bei einer solchen Gelegenheit kein gutes Haar gelassen wird. Bayern lässt grüßen!
„Und jetzt gibt die Regierung eine Jahrhundertaufgabe, um die wir sie nicht gebeten haben. Und sagt uns, dass wir tolerant sein müssen und weltoffen. Das müssen wir nicht. Und schon gar nicht muss ich das wollen, was die Regierung will.“
Die Frage liegt nahe: Wer ist „wir“?
In diesem Stil geht es weiter, insgesamt 189 Seiten umfasst das Buch, gefühlt sind es doppelt so viel.
Man täte dem Autor Unrecht, wenn man seine mehrfachen Hinweise auf eine falschen Sparpolitik nicht erwähnen würde. „Deutschland versagt schon ganz am Anfang. Alleingelassene Familien, marode Schulen und unterfinanzierte Kitas, Schulpolitik wie auf der Achterbahn, frustrierte Lehrerinnen und Lehrer, mies bezahlte Erzieherinnen und Erzieher und über allem eine Finanzpolitik, die ohne Sinn und Verstand ausgerechnet da spart, wo Investitionen wichtig wären.“
Es ist merkwürdig: Er hat bei dieser Kritik an der Finanzpolitik ja nicht Unrecht. Aber obwohl er seit Jahren auch zu den Leuten gehört, die unsere Gesellschaft mitgestalten, hat man nicht das Gefühl, dass er sich Teil dieser Gesellschaft versteht. Als Mitglied der CDU und als Vorsitzender einer Gewerkschaft, die dem konservativen Beamtenbund angehört, hätte er gute Möglichkeiten gehabt, gegen die neoliberale Forderung nach dem schlanken Staat anzugehen. Doch er gesellt sich auch bei diesen Themen schnell zu den Unzufriedenen und ist Teil der Empörung.
Völlig aus dem Blick gerät ihm, dass er als Beamter Angehöriger des öffentlichen Dienstes ist und zu seinem Dienstherrn in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis steht. Es verwundert, wie er als Polizeibeamter meint, so ungeniert populistisch gegen Parlament, Regierung und Justiz vom Leder ziehen zu können. Das kann er nur in dem Glauben tun, seine Äußerungen würden ihm den Beifall großer Teile der Bevölkerung einbringen, zumindest die Zustimmung der 60.000 Polizisten, die seine Organisation vertritt.
Und das ist eine der wenigen Fragen, die nach der Lektüren offen sind: Spricht Wendt für diese Polizisten, die er zu vertreten vorgibt? Spricht er gar für die Mehrheit der Polizisten im Lande? Ist er nur in eigener Mission unterwegs?
„Sicher ist nur eins: Er vertritt die Interessen des Rainer Wendt“, schreibt Thomas Fischer – Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof am 29.12.2016 in einer Kolumne in der Wochenzeitung „Die Zeit“. An anderer Stelle heißt es dort: „Kein Sachbuch ohne Ausweg. Auch Wendt hat einen: Eine Wende soll es sein, ein ‚Es-muss-etwas- geschehen.‘ Zwar sagt er nicht, was geschehen muss, aber der Leser kann es sich denken.“
Fischers Schlussbetrachtung hört sich so an: „An jenen Orten, die dem Autor als Ideal von Sicherheit vorschweben, wäre mit einer derart üblen Beschimpfung von Gesetzgeber, Justiz und Verwaltung wahrscheinlich das Ende seiner schönen Polizeikarriere gekommen. In dem freien Staat aber, dessen Zerfall er problematisiert, lassen sich damit ein paar Euro hinzuverdienen und ein paar Stimmen sammeln.“
Eine abschließende Bemerkung zur Glaubwürdigkeit des Autors. Wendt hat sein Image als Saubermann mit großem Zeitaufwand gepflegt, vor allem in unzähligen Talkshows. Jetzt hat man ihn erwischt: Er hat sich vom Staat bezahlen lassen, ohne eine Gegenleistung als Polizist zu erbringen. Sich selbst die eigenen Taschen ungeniert zu füllen, aber mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie als Privilegien-Abgreifer zu beschimpfen, dazu gehört schon eine gehörige Portion Abgebrühtheit.
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