Nathan der Weise – ein Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz
„Sind Christen und Juden eher Christ und Jude als Mensch?“ Diese Kernfrage, die nur verneinend beantwortet werden kann, beinhaltet die Zielrichtung des Dramas „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing, in dem es um Humanismus, Religiosität und Toleranz geht.
In einer eindrucksvollen Inszenierung von Stefan Zimmermann für die a.gon Theater GmbH München erlebten die Zuschauer in der vergangen Woche im Lüner Heinz-Hilpert-Theater, wieviel brennende Aktualität in einem Bühnenstück aus dem Jahre 1779 stecken kann, das im Jerusalem des zwölften Jahrhunderts spielt.
In dem Schauspiel setzt sich Lessing kritisch mit dem Alleinvertretungsanspruch der drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam auseinander. In seinem Werk räumt er gründlich mit den Vorurteilen seiner Zeit auf. Und mancher unserer heutigen Zeitgenossen könnte an Hand des Stücks auch seine eigenen Ressentiments auf den Prüfstand stellen.
Die Titelfigur Nathan ist ein erfolgreicher jüdischer Geschäftsmann. Er zeichnet sich durch Weisheit und Güte aus, ist also das Gegenteil vom Klischee des „Schacherers“ und „Wucherjuden“. Peter Kremer zeigte in dieser Rolle, was ein durch das Fernsehen bekannter Schauspieler zu leisten vermag, wenn er das Korsett der Serien-Fernsehproduktionen ablegen kann.
Obwohl der christliche Patriarch von Jerusalem (Georg Luibi) nur in einer kurzen Szene zu Wort kommt, stellt Lessing ihn, ebenfalls revolutionär bezüglich der Meinung seiner Zeit, in der ganzen Breite seiner fundamentalistischen Auffassung und religiösen Verbohrtheit bloß. Trotz aller Gegenargumente fordert er immer wieder: „Der Jude gehört verbrannt.“
Dagegen ist Sultan Saladin (Stefan Rehberg) als Moslem und Vertreter der Obrigkeit eher ein Suchender, der, beeindruckt von Nathans Klugheit und Menschlichkeit, dem Juden spontan seine Freundschaft anbietet.
Obwohl in dem Werk eine Liebesgeschichte eingebaut ist, die durch komplizierte, interkonfessionelle Familienkonstruktionen eigentlich eine Geschwisterliebe ist, (hier überzeugt Laura Antonella Rauch als naive und schwärmerische, manchmal von der Realität entrückte Recha) obwohl Lessing auch zwiespältige Charaktere wie den Klosterbruder (Michaela Althauser) als Spitzel mit menschlichen Zügen und Erzieherin Daja (Angelika Auer) als Intrigantin zeigt: Der Schlüsseltext des Stücks ist die „Ringparabel“.
Mit der beantwortet Nathan mit salomonischer Weisheit des Sultans Frage nach der wahren Religion: Ein Vater will dem liebsten seiner Söhne einen Ring mit besonderer Kraft vererben. Doch er liebt alle drei gleich. Er lässt Kopien des Ringes anfertigen, so dass keiner weiß, wer den echten hat. Sie streiten sich, und ein Richter rät jedem, so zu leben und zu handeln, als sei sein Ring der echte.
Lessing Stück ist ein Plädoyer für die friedliche Koexistenz der Religionen. Religiöse Kriege und Attentate konnte und kann es nicht verhindern. Fundamentalisten und Fanatiker wird es sicher nicht überzeugen. Aber es kann uns alle ermutigen, weiterhin vehement für die Werte Toleranz und Menschlichkeit einzutreten.
Peter Jerhoff aus Nette, der seit fast dreißig Jahren eine Vormiete im Lüner Theater hat, meinte: „Ich habe mich gefreut, dass endlich wieder ein anspruchsvolles Stück mit Tiefgang gezeigt wurde. Ich bin ein Freund der Klassiker und beobachte seit längerem, dass diese mehr und mehr aus den Programmen verschwinden und durch flache Unterhaltung ersetzt werden.“
Der Erfolg des Nathan sollte die Theatermacher ermuntern, mehr Werke aus dieser Richtung ins Programm zu nehmen. Wie wäre es mal wieder mit einem Klassiker der Moderne, mit Brecht und seiner „Mutter Courage“ oder „Aturo Ui“ oder einem anderen Stück aus seinem epischen Theater? Viel lernen könnten wir daraus auf alle Fälle.