Käthe Wember – Jahrgang 1938 -, die wir heute in der Rubrik „Frauenpower im Stadtbezirk“ vorstellen, kann man getrost als alte Mengederin bezeichnen. Geboren wurde sie in Groppenbruch. Im Jahr 1938 zogen ihre Eltern nach Mengede in die Freihofstr. 3. Dort hat sie bis zu ihrer Heirat gewohnt und ist dann zurück nach Groppenbruch gezogen, in das Haus ihrer Schwiegereltern. Seit dem 1979 wohnt sie in der Siegenstr. 11, in der ehemaligen „Villa Schröder“.
Doch der Reihe nach. Das Haus Freihofstr. 3, eines der ältesten Fachwerkhäuser in Mengede, musste damals insgesamt 9 Personen Platz bieten, Eltern und sieben Kindern: 6 Mädchen und 1 Junge. Käthe war das fünfte Kind. Ihre Familie Wirges war in Mengede gut bekannt. Allein durch Tochter Lotte, die ein gefühltes Leben lang auf dem Mengeder Standesamt gearbeitet hat und wegen ihrer Kompetenz und Hilfsbereitschaft allseits geschätzt wurde.
Neun Personen in einem kleinen Fachwerkhaus kann man sich heute kaum noch vorstellen, aber für Käthe Wember war die Zeit rückblickend natürlich prägend. Der Vater war als Lokführer untertage beschäftigt und alleinverdienend. Die Mutter hatte mit der Versorgung und Erziehung der Kinder mehr als genug zu tun, auch wenn sich die Kinder damals zwangsläufig untereinander erzogen. Die Kriegs- und Nachkriegszeit war nicht einfach für die Familie, aber es fehlte an nichts. Es klingt so etwas wie Hochachtung in der Stimme, wenn Käthe Wember über diese Zeit spricht. „Jedes der Kinder hatte damals ein eigenes Bett“. – Das war in der Tat nicht selbstverständlich.
Nach Ihrer Heirat mit dem Maler und Anstreicher Bruno Wember zog sie zu ihrem Mann nach Groppenbruch. Käthe Wember brachte fünf Kinder zur Welt – drei Mädchen und zwei Jungen. Als der damals älteste Sohn 1969 im Alter von 4 ½ Jahren auf der Waltroper Str. in der Nähe des Elternhauses von einem Auto erfasst und getötet wurde, schien die Welt zusammenzubrechen. Es kam jedoch noch schlimmer. Im Jahr 1974 verunglückte ihr Mann auf einer Baustelle tödlich, Käthe Wember war 35 Jahre, das jüngste Kind 1 ½ Jahre alt.
Damit begann die schwierigste Phase Ihres Lebens, obwohl Käthe Wember Kraft aus der Überzeugung schöpfte, was ihr widerfahre, sei gottgewollt. Das ist eine andere Einstellung, als sie heute häufig anzutreffen ist. Die heute vorwiegend ökonomisch orientierte Sichtweise neigt zu dem Schluss: Es mag schmerzlich sein, aber es ist alternativlos. Damals wie heute gab und gibt es Menschen, die sagen: es mag zwar gottgewollt sein, das ein Kind überfahren wird oder der Ehemann verunglückt, aber solange wir leben, ist nichts alternativlos, d.h. wir haben die Möglichkeiten selbst in der Hand mit diesem Schicksal umzugehen.
Dies war für Käthe Wember einfacher gesagt als getan. Vier Kinder groß zu ziehen und für den Unterhalt der Familie aufzukommen, das ist zunächst eine schier unlösbare Aufgabe. Damals – Mitte der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts – waren es zudem turbulente Zeiten. Alte Ordnungen wurden von den jungen Leuten infrage gestellt. Die Erziehung der Kinder sollte nach anderen Regeln erfolgen, als Generationen zuvor. Das wichtigste war jedoch für sie, eine Arbeitsstelle zu finden, die das eine wie das andere – Gelderwerb und Kindererziehung – zuließ. Die Familie hielt zusammen und machte es möglich. In Vetter Hans Wembers Gärtnereibetrieb fand sie eine entsprechende Arbeit. Das hieß: Morgens auf Wochenmärkten Blumen und Pflanzen verkaufen und sich ab mittags um die Kinder kümmern. Dies ging nicht mit alternativen Erziehungskonzepten, es ging nur mit einer konsequenten und – manchmal von den Kindern als zu streng – empfundenen Linie. Das „Ergebnis“ allerdings kann sich sehen lassen, eine Formulierung, die erheblich untertreibt, aber Stolz wäre in diesem Zusammenhang aus Sicht der Mutter unangebracht: Alle vier Kinder haben ein Studium erfolgreich abgeschlossen.
Über die Frage, wie sie denn aus heutiger Sicht ihre damalige Situation beurteile, denkt Käthe Wember einen Augenblick nach, bevor sie antwortet. Sie frage sich manchmal, wie sie das damals alles geschafft habe. Ohne die Unterstützung der Familie und ohne hilfreiche Nachbarn wäre das nie gegangen. Und ohne ihren Glauben, aus dem sie immer Kraft und Zuversicht geschöpft habe, wäre das wohl auch nicht gelungen.
Wer so viele Jahre in Mengede lebt, der kennt natürlich eine Menge Leute im Ort. Das gibt ihr ein Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit, das sie nicht missen möchte. Wenn Sie gelegentlich mal für einige Tage verreist ist, ist sie anschließend froh, wenn sie wieder zu Hause ist. Die Verbundenheit mit ihrem Heimatort ist möglicherweise auch der Grund, dass sie sich kritisch mit der Kommunalpolitik auseinandersetzt. Nach ihrer Auffassung werden die im nördlichen Bereich Dortmunds liegenden Stadtbezirke benachteiligt. Das scheine bei vielen Ruhrgebietsstädten der Fall zu sein, aber man müsse es ja nicht klaglos hinnehmen. Die strukturelle Entwicklung des Stadtteils Westerfilde hält sie für überfällig, den Straßenzustand im alten Ortskern Mengede empfindet sie als erbärmlich. Umso positiver bewertet sie die baulichen Verbesserungen im Bereich des Mengeder Marktes und des Amtshauses. In Verbindung mit der Parkanlage habe sich dieser Teil des Zentrums zu einem Schmuckstück entwickelt. Kritisch betrachtet sie den Zustand einiger Gebäude in Mengede. Den offenkundigen Verfall der ehemaligen „Schieferecke“ – Freihofstr. 2 – und des „Peters-Bau“ empfindet sie als ein dauerndes Ärgernis. Ebenso macht sie es wütend, wenn sie den Umgang vieler mit dem „öffentlichen Raum“ betrachtet. Hundehalter lassen ihre Hunde überall Haufen legen und denken gar nicht daran, diese zu entsorgen. Raucher werfen ihre Kippen achtlos auf Bürgersteige oder in Hauseingänge, da fehlen ihr manchmal die Worte. Und Autofahrer brettern über marode Straßen – etwas mehr gegenseitige Rücksichtnahme täte dem Zusammenleben gut, davon ist sie fest überzeugt.
Käthe Wember hält sich selber für einen unpolitischen Menschen. Es fehlte ihr vor allem die Zeit, sich intensiv mit Politik zu beschäftigen. Gleichwohl hat sie eine politische Meinung. Vor allem verfolgt sie aufmerksam die Dinge, die hier im Stadtbezirk passieren. Die ablehnende Haltung einiger Mengeder zu den geplanten Flüchtlingsunterkünften kann sie nicht nachvollziehen. Wer – wie sie – im Leben Hilfe und Unterstützung von vielen Seiten erfahren hat, kann das eh nicht verstehen. Aber auch aus ihrem christlichen Grundverständnis hält sie für notwendig, denen zu helfen, die in Not geraten sind.
Käthe Wember pflegt ein Hobby, auf das man nicht so ohne weiteres kommt. Sie sammelt alte Gebet- bzw. Gesangbücher. Inzwischen zählen zu ihrer Sammlung 450 unterschiedliche Exemplare – der Platz, um die Sammlung angemessen unterzubringen, reicht nicht mehr aus. Wie kommt man in den Besitz solcher Bücher? Viele erhielt sie von Freunden und Bekannten geschenkt, andere erwarb sie auf Flohmärkten oder in Antiquariaten. Es gibt in der Sammlung ganz einfache Exemplare, aber auch sehr aufwändig ausgestattete. Die wertvollen Ausführungen sind jeweils mit einem kunstvollen Verschluss versehen. Besonders wertvoll – weil mit persönlichen Erinnerungen verbunden – ist das Exemplar, das ihr Mann in Rußland in der Gefangenschaft bei sich trug und von dort mit nach Hause brachte. Eine besondere Rarität ist das Exemplar, welches Kardinal Graf von Gahlen seinem Patenjungen zur Priesterweihe schenkte und dieser es aus alter Freundschaft Jahre später an Käthe Wember weiter verschenkte.
Die Frage, ob sie sich in den nächsten 25 Jahren noch etwas Besonderes erleben möchte, verneint sie: „So wie es ist, ist es gut“. Sie spielt gelegentlich Skat, macht Krankenbesuche und kegelt regelmäßig. Ihren Kegelclub hat sie schon den Termin ihres 100. Geburtstages vormerken lassen. Zwei insgeheime Wünsche hat sie allerdings auch: Gesund bleiben und nicht ins Altenheim müssen. Wünsche, die nachvollziehbar, aber schwierig zu erfüllen sind. Das weiß sie, aber schwierig ist für sie nicht gleichbedeutend mit alternativlos. Alternativlos ist nach ihrer Auffassung nur der Tod. Sie blickt zuversichtlich in die Zukunft, denn sie weiß sich angesichts ihrer sechs Enkelkinder gut aufgehoben und sie wohnt in einem Haus, das mit gutem Recht als Mehr-Generationen-Haus bezeichnet werden kann, in dem noch gilt, was früher in Großfamilien üblich war: Alt hilft jung und jung hilft alt!