Frauenpower im Stadtbezirk
heute: Marianne Smeenk
Wer durch Mengede zum Volksgarten gehen will, kommt unweigerlich an einer ehemaligen Weihnachtsmarkt-Verkaufshütte vorbei, die dort seit Anfang 2016 steht und inzwischen zum Atelier von Marianne Smeenk umfunktioniert worden ist.
Marianne Smeenk ist ausgebildete Maßschneiderin und hatte ihre Arbeitsräume ursprünglich von Mai 2013 – April 2015 in ehemaligen Lagerräumen des Mengeder Unternehmens Sauermann in der Mengeder Straße eingerichtet. Arbeitsräume und weitere Lagerflächen mussten vor zwei Jahren für das inzwischen fertiggestellte Wohngebäude weichen, Marianne Smeenk erhielt als Zwischenlösung eine Bleibe in einem Kfz-Anhänger der Fa. Sauermann, der provisorisch mit Möbeln ausgestattet wurde und anfangs eigentlich nur als Annahme- und Ausgabestelle geplant war.
Von den Kundinnen wurde der Standort dieses Provisoriums so gut angenommen, dass
Marianne Smeenk sich entschloss, den Standort beizubehalten und statt des ursprünglichen Anhängers eine Weihnachtsmarkt-Verkaufshütte aufzuhübschen und als dauerhaften Arbeitsplatz zu nutzen. Zusätzlich zu dieser ehemaligen Verkaufshütte benötigte sie jedoch weitere Flächen. Die hat sie Anfang 2016 im Haus Hubbert in der Strünkedestraße gefunden. Hier hat sie ihr Atelier eingerichtet und hier verbringt sie auch ihre überwiegende Arbeitszeit. In dem ursprünglichen Provisorium in der Mengeder Straße ist sie im Schnitt nicht mehr als drei Stunden pro Tag anzutreffen.
Marianne Smeenk wurde 1965 in Waltrop geboren. Die Eltern besaßen dort einen kleinen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Sie war das zweitjüngste von sieben Kindern. Nach ihrer Geburt wurde die Mutter krank, so dass deren jüngere Schwester – Tante Hermine – sie öfter mit nach Oestrich nahm. So wuchs sie anfangs in Oestrich auf. Tante Hermine war im Handarbeiten sehr versiert, es wurde in den Abendstunden gestrickt, gehäkelt, gestickt, geknüpft und so war Marianne von frühester Kindheit an mit Handarbeitsmaterialien und deren Umgang vertraut. „ Am schönsten war immer der Einkauf im Handarbeitsgeschäft Busold – heute ‚geschickt eingefädelt‘ – in der Mengeder Straße“, erinnert Marianne Smeenk sich.
Das Schneidern war fortan ihre liebste Beschäftigung und deswegen war es keine allzu große Überraschung mehr, als sie mit 11 Jahren selbständig und weitgehend alleine ihr erstes Kleidungsstück – ein T-Shirt – herstellen konnte. Von dem Zeitpunkt an war allen Beteiligten klar, dass sie später einmal Schneiderin werden wollte und würde.
Nach dem Abschluss der zehnten Klasse an der Gesamtschule in Waltrop gab es keine entsprechenden Ausbildungsstellen. Sie begann deshalb eine Ausbildung als Köchin bei Stromberg in Waltrop, die sie aber wegen einer Lebensmittelallergie nicht zu Ende führen konnte. Jetzt – 1987 – bekam sie auch einen Ausbildungsplatz zur Schneiderin. Damit ging ein Traum in Erfüllung. Nach erfolgreichem Abschluss dieser dreijährigen Ausbildung war sie dann an verschiedenen Stellen als Schneiderin tätig und absolvierte in dieser Zeit verschiedene Zusatzausbildungen: Zunächst als Farb- und Stilberaterin und danach zur Image Consultantin. Sie arbeitete in einem Maßatelier für Braut- und Abendmoden, in einer Sattlerei, um Kenntnisse in der Lederverarbeitung zu bekommen. Danach fühlte sie sich fit sich selbständig zu machen. Im Jahr 2002 gründete sie das Schneideratelier und Modeberatungsunternehmen SKIMS (Stil-Kleidung-Inspiration).
Für alle, die in Modefragen nicht so bewandert sind, gibt es hier einige wenige Erläuterungen:
Eine Farb- und Stilberaterin verhilft ihren KundInnen zu einem vorteilhaften und überzeugenden Auftreten. Grundlage sind objektiv feststellbare Kriterien wie Körperbau und das auf die vier Jahreszeiten abgestimmte Hautcolorit in Farbe und Stil. Der Sommertyp z. B. sollte pudrige, der Wintertyp eher kräftige und eisige Farben bevorzugen. Welche Farben am besten zu einem Typ passen, das wird mit 48 verschiedenfarbigen Tüchern zusammen mit den KundInnen erarbeitet.
Eine Image Consultantin berät subjektiv beispielsweise zu den unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten, damit die KundInnen einen überzeugenden, authentischen und gepflegten Eindruck hinterlassen. Sie vermittelt z. B. die Wirkung einzelner Kleidungs- und Schmuckstücke. Sie berät, wie die Garderobe aufgebaut sein sollte, um gut durchs Jahr zu kommen. Welche Teile davon unbedingt qualitativ hochwertig sein sollten, wird durch Kleiderschrankchecks oder Begleitung beim Einkauf deutlich, um nur einige mögliche Beratungstätigkeiten zu nennen.
Zu Beginn ihrer Selbständigkeit war das Verhältnis zwischen Beratung und Schneiderei etwa 70 zu 30 % . Mittlerweile hat sich diese Verhältnis eher umgekehrt. Sie arbeitet überwiegend als Maßschneiderin und ihre KundInnen sind meist weiblich im Alter von 45 bis 65 Jahren. Es geht meist um Festmode oder um lang ersehnte Kleidungsstücke wie Jacken, Mäntel, Hosen und Röcke, die es im normalen Geschäft nicht zu kaufen gibt.
Die Kundschaft für Umarbeitungen ist im Alter von 18 bis 90 Jahren und sowohl weiblich als männlich.
Auf die verwunderte Frage des Chronisten, für den modische Fragen eher ein notwendiges Übel sind, ob man angesichts der Konkurrenz der Discount-Anbieter von diesem Beruf überhaupt leben könne, antwortet Marianne Smeenk sehr überzeugend:
„Wie man gelegentlich noch hört, kommt Beruf von Berufung. Ich erhalte beinahe täglich die Bestätigung für meine Passion durch zufriedene, ich möchte sogar sagen glückliche KundInnen. Offenkundig gibt es zunehmend Menschen, die diese Art handwerklicher Tätigkeit in unserer schnelllebigen Zeit wieder wertschätzen und honorieren.“
Es gibt einen handfesten Beleg für diese Wahrnehmung. In ihrer persönlichen Umgebung wächst das Interesse, an Nähkursen in kleineren Gruppen teilzunehmen, bei denen nicht nur handwerkliches Können, sondern auch traditionelles Wissen aus dem Schneiderhandwerk vermittelt wird. „Es gibt eine zunehmende Nachfrage nach Einzelunterricht für Fortgeschrittene. Dabei schneidern sich Kundinnen mit meiner Anleitung unter Nutzung meiner Maschinen und/ oder meines Materials ihr Wunschmodell.“
Ganz auf der Linie dieser Entwicklung liegt ein Kurs mit einer Gruppe von vier Personen, der im Februar 2018 in der Strünkedestraße geplant ist. Des weiteren unterstützt sie als Dozentin „Die fleißigen Schneiderlein“ in der ev. St. Remigius Gemeinde. Hierzu haben bisher zwei Kurse stattgefunden, der nächste Kurs ist für das Frühjahr 2018 geplant.
Auf die Frage, was ihr an Mengede gefällt, muss sie mit ihrer Antwort nicht lange zögern. Die Lage am nördlichen Rand von Dortmund – quasi als Tor zum Münsterland – kann nach ihrer Sicht nicht häufig genug herausgestellt werden. Viel Grün und Natur, dazu auch Wasser – Dortmund-Ems Kanal und Emscher – bieten eine besondere Aufenthaltsqualität. Insbesondere das Entwicklungspotential, das durch eine renaturierte Emscher in Verbindung mit dem Hochwasserrückhaltebecken vorhanden ist, wird nach ihrer Meinung die Chancen für den Stadtbezirk Mengede noch erheblich verbessern. Die
öffentliche Verkehrsanbindung ermöglicht eine gute Erreichbarkeit des Dortmunder Zentrums, aber auch der umliegenden Städte.
Die verschiedenen Autobahnen seien natürlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu sehen. Sie schaffen zwar kurze Wege in die Umgebung, sind aber auch eine nicht zu unterschätzende Umweltbelastung. Deswegen registriert sie mit gewisser Sorge die Pläne der Wirtschaftsförderung der Stadt Dortmund, aus dem ehemaligen Gelände des Kraftwerks Knepper ein Logistik-Zentrum zu entwickeln.
Das Zentrum Mengede hat in den letzten Jahren aus ihrer Sicht gestalterisch gewonnnen.
Gleichwohl gibt es noch viel zu tun im Stadtbezirk mit seinen unterschiedlichen Ortsteilen.
Zum Schluss des Interviews kommen wir auf die Frage zu sprechen, die sie seit längerer Zeit bewegt: „Wie fair ist unsere Kleidung?“. Marianne Smeenk hat kürzlich im WDR den Beitrag „Mode schlägt Moral“ gesehen, der die Probleme nach ihrer Ansicht auf den Punkt gebracht hat. Anlass für diesen Film war der Brand in einer pakistanischen Textilfabrik, bei dem vor vier Jahren 260 Menschen um Leben gekommen sind. Derzeit hängt eine zivilrechtliche Schadensersatzklage beim Dortmunder Landgericht an.
Die Autorin des Beitrags – Sarah Zierul – nahm diese zivilrechtliche Klage zum Anlass, den Film zur aktuellen Situation der Textilproduktion zu drehen und zu fragen, ob sich nach der Katastrophe etwas verändert habe. Ist das Einkaufsverhalten bewusster geworden? Gibt es mittlerweile Unternehmen, die sich in höherem Maße für ethische Fragen ihrer Textilproduktionen interessieren?
Dass Fazit von Marianne Smeenk: „Ich bin froh, dass es solche Filme gibt. Die Tatsache, dass deutsche Bekleidungsketten z.B. bei der Produktion eines T-Shirts mit Lohnkosten von 13 Cent kalkulieren, finde ich unverschämt. Ebenso macht mich fassungslos, dass junge Mädchen ihre Shopping-Beute begeistert im Netz präsentieren, ohne sich die Frage zu stellen, auf wessen Kosten sie sich über ihre Schnäppchen freuen. Der Austausch eines Reißverschlusses ist teurer als die Hose selbst!
Da bin ich als Schneiderin dann auch persönlich betroffen.“
Hinweis: Zur Vergrößerung der Fotos diese bitte anklicken!
Zum Abschluss des Gesprächs hat MENGEDE:InTakt! Marianne Smeenk gebeten, den (aktualisierten) Fragebogen von Marcel Proust* auszufüllen. Hier ist das Ergebnis: