Acht Jahrzehnte pralles Leben
Am 4. Mai startete „Sir Vival“ ins nächste Jahrzehnt
„Mehr Pläne als Restlebenszeit!“ – das ist die Erkenntnis des zum „Sir Vival“ geadelten Hamburger Menschenrechtsaktivisten Rüdiger Nehberg. 30 Bücher hat er geschrieben. Die Vokabel Rentner sucht man darin vergeblich. „Davon können andere träumen. Mir fehlt dazu die Zeit“, meint er.
Sein Geschenk an die Welt ist das „Medizinische Zentrum für genital verstümmelte Mädchen und Frauen“ in der äthiopischen Danakilwüste beim Nomadenvolk der Afar. Eine blühende kleine Oase in einer kargen Landschaft mit eigener Wasser- und Sonnenstrom-Versorgung. Im Juni will Nehberg es mit seiner Frau Annette feierlich eröffnen. Es ist ein Projekt ihrer Organisation TARGET e.V., die sich dem Ende der weiblichen Genitalverstümmelung (Beschneidung jeder Art) verschrieben hat.
Nehbergs beispiellose Strategie für dieses Ziel ist die enge Partnerschaft mit der geistigen Führung des Islam. Zum größten Erfolg der beiden Aktivisten wurde 2006 die „Internationale Gelehrtenkonferenz zur Beendigung der Verstümmelung von Frauen“ in der Azhar zu Kairo, dem geistigen Zentrum für Sunniten, vergleichbar mit dem Vatikan der Katholiken. Die höchsten Gelehrten der Welt ächteten den Brauch als „strafbares Verbrechen, das gegen höchste Werte des Islam verstößt“. Diese Botschaft betrifft 80% der täglich 6000 Opfer.
Sein Deutschlandmarsch machte ihn zur Legende.
1981 marschierte er 1000 km von Hamburg nach Oberstdorf. Er aß, was er am Wege fand. Meist waren das Beeren, Würmer und Insekten, einmal auch die aus einer Ringelnatter herausmassierte Beute – ein Frosch. Das ZDF sendete die Reportage. Deutschland ekelte sich wohlig vorm Fernseher. Das war Nehbergs Durchbruch als der Survival-Experte. Dabei war es für ihn nur ein Selbstversuch. Er wollte wissen, wie lange er ohne Nahrung auskommt. Er verlor ein Pfund Lebendgewicht pro Tag, 25 Pfund insgesamt. Diese Erfahrungen sollten sein Selbstvertrauen stärken, bevor er aufbrach, um im brasilianischen Urwald die Vernichtung der Yanomami-Indianer durch 65 000 Goldsucher zu dokumentieren. 20 Jahre setzte er sich gegen diesen Genozid ein. Mit Aktionen nach Nehberg-Art: Die medienwirksame Überquerung des Atlantik von Afrika nach Brasilien mit skurrilen Wasserfahrzeugen der Marke Eigenbau – Tretboot, Bambusfloß, massivem 18-Meter-Baumstamm. Und mit Erfolg. Die Yanomami haben inzwischen einen akzeptablen Frieden.
Pionier und Visionär von Anfang an
Noch bevor es den Begriff „Sanfter Tourismus gab“, suchte Nehberg das Abenteuer nicht als Pauschaltourist, sondern allein, weg von den Straßen, hinein in die Einsamkeiten der Erde. Und immer im Kontakt zu den dort lebenden Menschen. „Sir Vival“ bezwang als Erster den Blauen Nil in Äthiopien, durchquerte die Danakilwüste in Ostafrika mit eigenen Kamelen, ließ sich, nur mit Badehose bekleidet, von einem Hubschrauber in den Urwald absetzen. Nach 23 Tagen war er wieder in der Zivilisation – das war sein Plädoyer für das Naturerbe Regenwald und die bedrohten Indianer. Aus seiner Lust am Abenteuer wurde immer mehr das Abenteuer mit Sinn. 2000 gründete er die Menschenrechtsorganisation TARGET e.V..
Mehrfach ausgezeichnet- es fehlt nur noch der Friedensnobelpreis
Der Bundesregierung waren die Erfolge drei Bundesverdienstkreuze wert, dem Hamburger Senat unter anderem der Bürgerpreis. Nehberg wurde mit dem B.A.U.M.-Sonderpreis ausgezeichnet, am 21. April diesen Jahres bekamen er und seine Frau Annette die URANIA-Medaille 2015 in Berlin überreicht. Die Laudatio hielt Bundespräsident a.D. Horst Köhler. Bei den Afar-Nomaden sind sie „Ehrenbürger“. Aber an Ruhe ist nicht zu denken. Nehberg augenzwinkernd: „Eine Pause bei einem Espresso habe ich Annette versprochen, sobald ich mein Traumziel erreicht habe. Das ist die Verkündung des Verbots Weiblicher Genitalverstümmelung, zusammen mit dem saudischen König, zur Pilgerzeit in Mekka. Nicht mehr und nicht weniger.“ Und nach der Espresso-Pause ist sofort das nächste Buch fällig. Der Titel steht schon fest: „Der Bäcker und der König, Geschichten aus 1002 Nächten
Quelle: Büro Nehberg- www.target-nehberg.de; www.nehberg.de
Unser Redaktionsmitglied Diethelm Textoris hatte Gelegenheit, Rüdiger Nehberg kurz nach seinen 72. Geburtstasg zu interviewen. Hier sind einige Auszüge:
Gespräch über ein aufregendes Leben
Sie haben die Organisation Target gegründet, um eine finanzielle Basis für Ihren Kampf für die Menschenrechte zu haben. Was unterscheidet Target von Organisationen ähnlicher Art?
Alle Spendengelder kommen direkt den Aktionen zugute. Annette Weber und ich arbeiten ohne Bezüge, ich bestreite meinen Lebensunterhalt durch meine Vorträge, unsere Verwaltungskosten sind minimal. Für 12 000 Fördermitglieder haben wir zwei Hilfskräfte eingestellt, andere Organisationen brauchen eine Vollzeitkraft für jeweils 2 000 Mitglieder. Wir unterscheiden uns auch in der Vorgehensweise. Unserer Idee, eine Allianz mit dem Islam und deren Führer einzugehen, stößt bei den etablierten Organisationen auf Skepsis und Ablehnung.
Sie haben jetzt schon viel erreicht. Wie würden Sie reagieren, wenn sie die Mitteilung bekämen: “Rüdiger Nehberg, Sie werden den Friedensnobelpreis bekommen.“?
Natürlich würde ich ihn annehmen, aber nur unter der Bedingung, dass ich ihn mit dem ägyptischen Religionsminister Professor Dr. Zakzouk und dem Großmufti Ali Goma’s teilen könnte. Erst deren Vertrauen zu mir, einem Ungläubigen, und deren Einsatz für unsere Anliegen ermöglichte die sensationelle Resolution, die weibliche Genitalverstümmelung als Verstoß gegen den Koran brandmarkte.
Haben Sie Informationen darüber, in welcher Weise der Beschluss der Gelehrtenkonferenz von Kairo in die Realität umgesetzt wurde?
Es gibt immer noch Verstümmelungen. Wir müssen uns im Klaren sein, dass hier ein Krieg beendet werden muss – ein Krieg, der täglich 8 000 Mädchen Tod, Schmerzen und lebenslanges Leid bringt. Der Friedensprozess ist langwierig, Da müssen Jahrhunderte alte Tabus gebrochen und Ängste überwunden werden. Weitere Schritte sind notwendig…
… Ich fühle mich nicht von extremistischen Islamisten bedroht, ich halte im Gegenteil den Islam für eine äußerst friedliche Religion und trete bei jeder Gelegenheit für den Dialog der Weltanschauungen ein.