92 Jahre und fit wie ein „Turnschuh“!
MENGEDE:InTakt! besucht Horst Schmechel
Eigentlich war sein Aufenthalt in Mengede nur für zwei, maximal drei Tage geplant. Das war 1971, als Horst Schmechel von der Firmenleitung der Großbäckerei Paech in Berlin beauftragt wurde, den Start für eine neue Produktionsstätte in Mengede an der Solmstraße zu organisieren. In Mengede angekommen, war er sicher, nicht einmal diese eingeplanten drei Tage hier verbringen zu können, denn es stank im ganzen Ort für ihn unerträglich nach Benzol.
Warum er dennoch geblieben ist und aus den drei Tagen nunmehr fast 45 Jahre geworden sind, auf diese Frage fällt die Antwort für jemanden wie Horst Schmechel merkwürdig unklar aus. Aber zunächst der Reihe nach. Mengedes langjähriger haupt- und nebenberuflicher Chronist – K-H. Bohnmann – hat vor zwei Jahren zu Schmechels 90. Geburtstag einen schönen Beitrag für die Ruhr-Nachrichten geschrieben, den wir an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung des Verfassers auszugsweise wiedergeben möchten:
„Geboren wurde Horst Schmechel, der zwei Brüder hatte, als Sohn eines ehemaligen Offiziers in der Nähe von Kolberg. Weil der Vater keine Arbeit fand, zog die Familie 1929 nach Berlin. Schwierig wurde es, als die Nazis an die Macht kamen, denn Schmechels Mutter war Jüdin. Das bedeutete: Kein Besuch einer höheren Schule und keine Lehrstelle für die Söhne. Ein Bekannter stellte die Söhne dennoch in seiner Maschinenfabrik ein. „So wurden wir alle drei Maschinenschlosser“, berichtet der Wahlmengeder erstmals über sein Schicksal.
Im April 1944 wurde er (von den Nazis) in ein Arbeitslager in die Normandie verschleppt, wo er zu Bauarbeiten an der Küstenbefestigung gezwungen wurde. Mit einer kleinen Gruppe gelang ihm die Flucht: zu Fuß, ohne Geld und Papiere, von Frankreich nach Berlin. 1945 bekam Schmechel den Hinweis, dass sein Name und der seiner Mutter auf einer Transport-Liste ins KZ stehen würde. Der Tipp rettete den beiden das Leben. „Aber 16 Verwandte mütterlicherseits starben in den Konzentrationslager Auschwitz und Theresienstadt“, berichtet Schmechel.
Auch nach dem Einmarsch der Russen in Berlin war die Schreckens-Odyssee für Schmechel noch nicht beendet. Bei einer Kontrolle konnte sich der damals 22-Jährige nur mit einem Arbeitspass eines Onkels ausweisen, auf dem ein Hakenkreuz gedruckt war. Die Folge: Als angeblicher Nazi landete er im Gefängnis Plötzensee. Doch in einem unbewachten Moment gelang ihm auch diesmal wieder die Flucht.
Schmechels neues ziviles Leben begann damit, dass er bis zur Blockade Berlins1948 schwere LKW durch die Trümmerstadt steuerte. Dann wechselte er ins Bäckereigewerbe und später zur Firma Paech. Dort erkannte man schnell die Talente des jungen Mannes und übertrug ihm das, was man heute Marketing nennt. Später wurde er Betriebsleiter und dann übernahm er die Filiale in Mengede“.
Diese Filiale in Mengede wurde auf dem Gelände und in den Räumen der ehemaligen Brotfabrik Meininghaus eingerichtet. Horst Schmechel hat sie insgesamt 10 Jahre geleitet. In den besten Jahren waren hier 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Ein Fuhrpark von 25 Lieferwagen war notwendig, um die Brote in die Verkaufsläden zu bringen, der weiteste davon war in Köln gelegen. Täglich wurden rd. 15.000 Brote gebacken – das war schon für damalige Verhältnisse „eine Hausnummer“.
Im Jahr 1981 war es dann plötzlich mit dem Paech-Brot in Mengede zu Ende. Die Firmenleitung in Berlin beschloss, den Produktionsstandort Mengede zu schließen. Jetzt war für Horst Schmechel abzuwägen: Gehe ich zurück in die Zentrale oder versuche ich hier in Mengede einen Neuanfang. Die Entscheidung war schnell getroffen. Er blieb praktisch „bei seinem Leisten“ und eröffnete in der Siegburgstraße eine Brot- und Kaffeestube.
Im Nachhinein betrachtet, erwies sich das als eine geniale Idee. Abgesehen davon, dass er gutes Brot verkaufte, die Schmechelsche Kaffee-Stube entwickelte sich bald zum Kommunikationszentrum schlechthin. Schmechel konnte hier seine Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen, hatte auch mehr Zeit als vorher, also konnte er sich ausgiebig um lokal-politische Themen kümmern. Und davon gab es damals – wie heute auch – eine ganze Menge.
Als sich das Ende seiner beruflichen Tätigkeit abzeichnete – am 31.8. 1983 war auch bedingt durch gesundheitliche Probleme sein letzter Arbeitstag – hätte er sich ja auch auf sein Altenteil zurückziehen können. Dem war aber nicht so. Ende des Jahres 82 übernahm er den Vorsitz im Mengeder Gewerbeverein; 2. Vorsitzende wurde Karl-Heinz Dördelmann.
Unterstützt wurden sie von einem fünfköpfigen Beirat, dem Gaby Rickmeyer, Dieter Linde, Jürgen Küster, Dieter Kunkel und Christoph Schomerus angehörten. Erklärtes Ziel der neuen Mannschaft war, Mengede als Nebenzentrum aufzuwerten und zu stärken. Das war natürlich nur mit Unterstützung aller politischen Kräfte zu schaffen; umgekehrt wollte der Gewerbeverein „mitreden und gehört werden und nicht nur angehört werden“. Die Ideen des Führungsteams waren für die Mengeder Gewerbetreibenden überzeugend.
Die Mitgliederzahl stieg von 50 auf 180. Aber wie das häufig im Leben so ist, wenn zwei Alpha-Tiere aufeinanderstoßen: Nach 6 Jahren war Schluss. Schmechel erklärte im November 88 im Anschluss an eine Vorstandssitzung zur anstehenden Wiederwahl, im folgenden Frühjahr nicht mehr antreten zu wollen. Es gab offenbar unterschiedliche Auffassungen zwischen ihm und Dördelmann einerseits über die strategische Ausrichtung des Gewerbevereins und zum anderen über die Funktion der AG „Gildenfest“, deren Sprecher Dördelmann war.
Das war vor 25 Jahren und dem Gewerbeverein hat das damals nicht gut getan. Für Außenstehende schrumpfte der Gewerbeverein wieder zum zahnlosen Tiger. Schmechel verfolgt natürlich sehr interessiert die Entwicklung der Gewerbetreibenden, aber er hält sich bei der Bewertung zurück. Fröhlich kann ihn die Entwicklung im Mengeder Zentrum nicht stimmen. Allein der Wochenmarkt, bisher immer noch zweimal in der Woche ein zentraler Treffpunkt für jung und alt, verliert nach seiner Beobachtung immer mehr an Attraktivität und Bedeutung. Andererseits lobt er die gelungenen baulichen Maßnahmen im neuen Zentrum Siegburgstraße/Am Amtshaus. Er ist sicher, dass diese baulichen Verbesserungen die Attraktivität der „neuen Ortsmitte“ steigern wird, mahnt jedoch an, dass man jetzt weitere Verbesserungen im Bezirk, z. B. im alten Ortskern angehen müsse.
Man spürt, Horst Schmechel ist nach wie vor interessiert an der aktuellen Kommunalpolitik, auch wenn er sich aus Altersgründen dauerhaft nicht mehr engagieren will. In den vergangenen Jahren als aktiver Mengeder Bürger hat er natürlich Höhen und Tiefen erlebt. Der Stadtbezirk ist ihm ans Herz gewachsen, auch weil er mitgeholfen hat, Bewegung in festgefahrene Gleise zu bringen.
Politik hat es nach seiner Auffassung heute nicht leicht. So wurde er kürzlich Zeuge eines Gesprächs zweier Fußgängerinnen, die am Friedhof in der Schulstraße standen und über den Kreisverkehr schimpften. Leider war sein Versuch erfolglos, den beiden die Vorzüge dieser intelligenten und längst überfälligen Lösung zu erklären. Kommunalpolitik ist auch deswegen nicht einfacher geworden, weil die Städte und Gemeinden immer mehr Aufgaben von Bund und Land übertragen bekommen, obwohl die Einnahmen der Kommunen zurückgehen. Da bleibt zwangsläufig weniger Geld für eine angemessene Daseinsvorsorge. Aber es fehlt nach seiner Einschätzung auch die klare Handschrift in Mengede oder zumindest eine Vision über die künftige Entwicklung des Stadtbezirks. Ob hier das Entwicklungsprojekt „Nordwärts“ Abhilfe schaffen wird, mag er nur allzu gerne hoffen.
Wenn auch nicht auf den ersten Blick, aber im weiteren Sinn hat auch ein weiteres Aktionsfeld von Horst Schmechel mit Kommunalpolitik zu tun. Über einen Zeitraum von 10 Jahren war er Beirats-Vorsitzender des ehemaligen Mengeder Krankenhauses. Der Beirat sah sich als Schnittstelle zwischen Krankenhausleitung und Mengeder Öffentlichkeit mit dem Ziel, die Akzeptanz der Bevölkerung zum Mengeder Krankenhaus zu verbessern. Wer wäre für eine solche Aufgabe geeigneter als Schmechel. Gleichwohl: Das Mengeder Krankenhaus gibt es nicht mehr – „ kein Ruhmesblatt für den Stadtbezirk Mengede“, findet Schmechel, ohne im Einzelnen nachzukarten, ob überhaupt eine Chance bestanden hat, das Krankenhaus zu erhalten oder was vielleicht besser hätte gemacht werden können, um dieses Ziel zu realisieren.
Was macht man als 92-Jähriger den ganzen Tag über? H. Schmechel empfindet es als besondere Gnade, dass er für sein Alter noch „gut auf den Beinen“ und klar im Kopf ist. Rückzug aufs Altenteil – das weiß er gar nicht, wie das für ihn aussehen könnte. Bis vor kurzem ging er jeden Morgen rd. 10 km spazieren. Aus gesundheitlichen Gründen muss er diese ausdauernden Wanderungen einschränken. Heute geht er allenfalls in den „Ort“ und trifft sich dort mit alten Weggefährten. Auf Anfrage besucht er gerne Schulen im Umkreis und stellt sich dort als Zeitzeuge zur Verfügung. Vor allem über die Zeiten in Berlin vor und während des zweiten Weltkrieges, über seine abenteuerliche Verschleppung durch die Nazis nach Frankreich, über die Flucht von Frankreich zurück nach Berlin kann er authentisch berichten wie kaum einer. Ansonsten ist er im Garten in der Schulstraße anzutreffen.
Alles geht heute ein wenig ruhiger und gemächlicher – Altersweisheit pflegt man zu sagen. Aber die Begeisterungsfähigkeit und der Optimismus früherer Tage ist nicht verloren gegangen. So sieht er denn auch den weiteren Dingen mit einer fröhlichen Gelassenheit entgegen. Das Schicksal hat es bisher gut mit ihm gemeint; solange er die Dinge noch beeinflussen kann, ist ihm nicht bange.
Im Übrigen plant er ein größeres Projekt, das ihn für die nächsten drei Jahre erst einmal auf Trab halten wird. Über Einzelheiten mag er im Augenblick noch nicht sprechen. MENGEDE: InTakt! kann ihm dazu nur viel Erfolg wünschen und hoffen, dass all seine Vorhaben und Pläne in Erfüllung gehen.