Ein Geschichtszeuge taucht auf – und wieder unter: Die Dortmunder Stadtbefestigung am Königswall
„Die Autofahrer ärgerten sich – Stau auf dem Wallring um die City. Mehrere Wochen war im Spätsommer in jeder Fahrrichtung eine Spur gesperrt. Auf dem Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen hat ein Bagger Bäume, Sträucher und Erde entfernt, LKWs haben das Material abgefahren. Fast unbemerkt bewegten sich dazwischen Archäologen. Zur Überraschung vieler war bei den Erdarbeiten die alte Dortmunder Stadtmauer wieder aufgetaucht“, erläutert Henriette Brink-Kloke, Leiterin der städtischen Denkmalpflege, die Wahl des Bodendenkmals „Mittelalterliche Stadtbefestigung“ als Denkmal des Monats Dezember 2018.So beginnt eine Geschichte, die uns die Pressestelle der Stadt Dortmund zur Wahl des Denkmals des Monats Dezember 2018 überliefert. Und weiter heißt es dort:
„So fast as Düörpm“
„Wie alle großen Ruhrgebietsstädte vermittelt Dortmund den Eindruck einer modernen Großstadt, wie es besonders in der Zeit des Wiederaufbaus stolz hieß. Aber nicht nur die Zerstörungen des zweiten Weltkriegs, auch die rasante Industrialisierung, die kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts begann, haben das Gesicht der Stadt stark verändert.
Wer einmal den Wall umkreist, ist dem Stadtrand des mittelalterlichen Dortmunds gefolgt. Die einstmals selbstbewusste Freie Reichsstadt, wirtschaftlich erfolgreiches Mitglied der Hanse, war von einer wehrhaften Stadtbefestigung umgeben. Dem Besucher boten sechs Tore Einlass. Angreifer dagegen hätten die komplette Wehranlage überwinden müssen, also zunächst eine Palisade, der sich der Vorgraben und die etwa fünf Meter hohe Vormauer anschlossen. Mit einer Breite von 12 bis 18 Metern lagen dann der Stadtgraben und schließlich die bis zu neun Meter hohe Stadtmauer mit ihren 14 Türmen als großes Hindernis vor dem Eindringling. Lange war diese Befestigung unüberwindbar. Das mussten auch der Graf von der Mark und der Erzbischof von Köln in der Großen Fehde von 1388 erfahren, als sie über ein Jahre lang vergeblich versuchten, die Stadt zu erobern. Die Losung „so fast as Düörpm“ (so (stand)fest wie Dortmund) hatte sich bewährt.
Freie Fahrt und romantische Scheinarchitektur
Neue Wehrtechniken und wirtschaftliche Schwierigkeiten führten dazu, dass die Stadtbefestigung nach dem Mittelalter langsam verfiel. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts waren große Teile abgetragen. Die Steine wurden häufig als Straßenpflaster oder Baumaterial verwendet. Das letzte Stück Stadtmauer fiel 1874 zwischen Windmühlenberg und Wißstraßentor. Die frei gewordenen, breiten unbebauten Flächen wurden, wie in den meisten europäischen Großstädten, genutzt, um baumbestandene Promenaden anzulegen, sogenannte Boulevards. Anders als in den mittelalterlichen Gassen machten getrennte Wege für Fußgänger, Fahrzeuge und Reiter den Verkehr flüssiger. Die Stadt- und Verkehrsplaner nutzten dies schließlich beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Promenaden wandelten sich in mehrspurige Verkehrsadern für den motorisierten Individualverkehr. „Auch wenn sich mancher, der im Stau steht, noch weitere Fahrspuren wünschen mag – auf der anderen Seite gibt es auch bei vielen eine Sehnsucht nach historischem Ambiente“, erinnert Henriette Brink-Kloke.
Archäologen im Gehege
Auch heute ist das Interesse groß, wenn die Stadtarchäologie Grabungen unternimmt. Am Sicherungsgitter der aktuellen Baustelle drängen sich dann die Neugierigen. „Ich komme mir manchmal vor, als wäre ich im Zoo – als Anschauungsobjekt. Allerdings zeigt sich damit auch das Interesse an der Geschichte. Und darüber freue ich mich“, so formuliert es einer der Ausgräber. Während man von auswärtigen Besuchern hört: „Ach, so eine typische Ruhrgebietsstadt hatte einmal eine mittelalterliche Stadtmauer?“, sind viele Dortmunder überrascht, dass man nicht nur Fundamente, sondern an manchen Stellen sogar noch richtige Wände findet – ein solches „Wandstück“ kann neben dem Adlerturm am Ostwall betrachtet werden. Es wurde ebenfalls bei Erdarbeiten gefunden und oberirdisch wieder aufgebaut.
Topographisches Rätsel
Anfänglich sorgte das erste freigelegte Mauerstück am Königswall für Verwirrung, entsprach der Verlauf der Mauer doch nicht dem der eigentlichen Stadtmauer. Das uneinheitliche Mauerwerk setzte sich aus zurechtgehauenen Steinquadern und Bruchsteinen zusammen, die mit weichem Kalk-Sand-Mörtel aber auch mit Betonmörtel gemauert waren.
Hatte man hier Teile der alten Stadtmauer wiederverwendet und durch andere Steine ergänzt? Des Rätsels Lösung lieferten die historischen Kartenwerke. Denn das ursprüngliche Gelände fiel vom Stadtzentrum in nördliche Richtung hin ab, und der alte Bahnhof der Cöln-Mindener Eisenbahn lag tiefer als der heutige Hauptbahnhof. Die Archäologen hatten nicht die Stadtmauer, sondern eine Abfangmauer freigelegt, die dazu diente, das nach Norden hin abfallende Gelände zu stützen. Wenige Meter weiter nach Osten konnte dann aber doch noch die historische Stadtmauer dokumentiert werden. Und dieses Mal stimmte die Ausrichtung der Mauer mit dem historischen Verlauf überein.
Kranke Bäume und ein Tipp
Anlass für die Bauarbeiten waren übrigens die schon lange kränkelnden Bäume und Sträucher auf dem Mittelstreifen. Nach Entnahme zahlreicher Bodenproben beschloss daher das städtische Tiefbauamt, die Erde großräumig zwei Meter tief gegen ein Granulat auszutauschen, mit dem neue Pflanzen besser gedeihen sollen. Die gefundenen Reste der Stadtbefestigung ruhen dann wieder gesichert unter dem Wall.
„Einen schnellen Überblick über die alte Stadtbefestigung kann man sich übrigens in der U-Bahn-Station Ostentor verschaffen“, lädt Henriette Brink-Kloke ein: „Dort zeigen großformatig an den Wänden abgebildete Grundrisse und Ansichten Elemente der Stadtbefestigung, wie den Schlangenturm oder den Höllenturm, die vielleicht nicht jedem Dortmunder bekannt sind.“