„Die letzten Mohikaner“ – Brieftaubensport in Mengede (Folge 2)
Der letzte Mohikaner ist ein 1826 erstmals erschienener historischer Roman des amerikanischen Schriftstellers J. F. Cooper (1789–1851). Die Handlung spielt zur Zeit des Siebenjährigen Krieges in Nordamerika. Es handelt sich um die zweite Folge aus der Serie „ Der Lederstrumpf.“ Im Titel wie im Roman wird der Untergang nordamerikanischer Indianerstämme durch die vorrückenden europäischen Siedler beschrieben. Darauf bezieht sich das geflügelte Wort „der letzte Mohikaner“. Es steht für die letzten Zeitzeugen einer Idee oder – wie nachfolgend beschrieben – einer Sportart, die vor allem das Ruhrgebiet geprägt hat.
In einem Beitrag vom 20.5.2015 hat MENGEDE:InTakt! über den Brieftaubensport in Mengede berichtet. Zunächst haben wir Taubenzüchter vorgestellt, die sich schon ihr Leben lang dem Brieftaubensport gewidmet haben
Ferner haben wir uns in dem Beitrag mit allgemeinen Themen rund um den Brieftaubensport beschäftigt: Anfänge des Brietaubensports im Ruhrgebiet – Brietauben als Informationsvermittler – Orientierungsvermögen der Brieftauben– Wettflüge und kritische Anmerkungen der Tierschutzverbände. (Einzelheiten siehe: https://mengede-intakt.de/2015/05/20/die-letzten-mohikaner/ )
Heute wollen wir mit Winfried Vedder den Zweit-Jüngsten der „letzten Mohikaner“ vorstellen.
W. Vedder ist 76 Jahre alt, leitete bis zum Jahr 2010 seinen Malerbetrieb. Den hat er inzwischen an seinen Schwiegersohn übergeben, und somit kann er sich als rüstiger Rentner ohne zeitliche Einschränkungen ausgiebig seinem Hobby widmen. Das war natürlich nicht immer so – doch dazu später mehr.
W. Vedder wohnt in der Mengeder Schulstraße in einem alten, unter Denkmalschutz stehenden Haus. Hinter dem Haus liegt ein großer Garten.
Warum diese ausführliche Schilderung, wird mancher fragen. Die Antwort ist einfach: Wenn früher gesagt wurde, die Brieftaube sei das Rennpferd des Bergmannes, dann stimmte das in mancherlei Hinsicht. Wer Bilder von der früheren Zechensiedlung – im Sprachgebrauch häufig mit einem geringschätzigen Unterton als Kolonie bezeichnet – noch im Kopf hat, erinnert sich an die großen Gärten hinter den Häusern. Diese hatten genügend Fläche; neben dem Nutzgarten gab es auch noch Stallungen für allerlei Haustiere – vor allem ging es dabei auch um Brieftauben. Im Schnitt 20 Brieftauben hatte fast jeder Bergmann. Da war es kein Problem, sich gegenseitig auszuhelfen, wenn mal an Wettflugtagen der ein oder andere zur Arbeit musste und die Ankunft seiner Tauben nicht eigenhändig betreuen konnte; oder auch sonst war die nachbarschaftliche Hilfe selbstverständlich.
W. Vedder war kein Bergmann, aber mit der Leidenschaft für die Brieftauben konnte er es mit jedem Bergmann aufnehmen. Seit seinem 12. Lebensjahr hatte er sich diesem Hobby verschrieben, und egal wie und wohin seine beruflichen Aktivitäten sich entwickelten, immer hatte er dabei seine Tauben im Auge. Dabei kam ihm zugute, dass ihm seine Eltern in der Westheide neben dem Hühnerstall einen Verschlag für sein Hobby einrichteten. Anfangs gab es häufig Ärger mit dem Rest der Familie. Nach deren Ansicht fraßen die Tauben den Hühnern das Futter weg, aber für die Küche verwertbare Eier legten diese „Viecher“ im Gegensatz zu den Hühnern leider nicht.
Es hat wohl seine Zeit benötigt, ehe die Eltern merkten, weder mit guten Worten noch mit Druck ist dieser Sohn von seinem Vorhaben abzubringen „Taubenvatter“ zu werden. Als er sich – Jahre später – mit seinem Malerbetrieb in der Solmstraße in Mengede ansiedelte, war ihm genügend Fläche für den Bau geeigneter Taubenschläge wichtig.
Das ist heute nicht anders und ist sicher auch mit ein Grund, warum der Brieftaubensport so stark zurückgegangen ist: Heute kann sich nur noch Tauben halten, wer verständige Nachbarn hat, dazu genügend Gartenland oder zumindest so viel Platz im eigenen Haus oder dahinter, um eine Anzahl von zumindest 100 Tauben unterbringen zu können.
W. Vedders Anwesen liegt in der Mengeder Schulstraße und hier hat er einen großen Garten, in dem seine Taubenschläge stehen. Es sind insgesamt fünf einstöckige Schläge und zwei Volieren, in denen derzeit knapp 100 Tauben untergebracht sind. Zum derzeitigen Bestand zählen 18 Reisetauben, 20 Zuchtpärchen, einige Ammentauben und 50 Jungtauben.
Die relativ geringe Anzahl der Reisetauben hängt damit zusammen, dass W. Vedder im letzten Jahr ungewöhnlich viele wetterbedingte Verluste bei den Wettflügen der Jungtauben erlitten hat. Hinzu kommen Verluste, die vor allem die Jungtauben treffen, wenn sie noch relativ ungeübt ihre Trainingsflüge über dem heimischen Schlag absolvieren und vom Habicht wahrgenommen worden sind. Zu diesem Zeitpunkt haben die Jungtauben wenig Chancen gegenüber dem Raubvogel. Das ändert sich allerdings, wenn sie gut trainiert und schon den ein oder anderen Wettflug absolviert haben.
In der Zeit von Februar bis September eines jeden Jahres erfordern die Tauben eine tägliche Betreuungszeit von 5 1/2 bis 6 Stunden – morgens etwa 3 ½ und nachmittags etwa 2 ½. An Urlaub ist für einen Züchter wie W. Vedder, der nicht in einer Schlaggemeinschaft startet, in dieser Zeit nicht zu denken. Die Reisetauben und die Jungtauben werden nach einem festgelegten Zeitplan getrennt für eine Stunde zu den täglichen Trainingsflügen aufgelassen. Wenn die eine Gruppe unterwegs ist, werden deren Schläge gereinigt; Taubenmist ist ein begehrter Naturdünger – muss aber reichlich verdünnt untergegraben werden.
Wenn die Tauben zur Trainingseinheit starten, wird im Garten von W. Vedder eine Fahne gehisst – für die Tauben ein Zeichen, dass jetzt Trainingseinheiten absolviert werden müssen. Kurz bevor er mit den Säuberungsarbeiten fertig ist, zieht Züchter Vedder die vorher gehisste Fahne wieder ein; jetzt wissen die Tiere, dass sie sich bald wieder einfinden können. Danach erfolgt die gleiche Prozedur mit den Jungtauben, wobei die dann in zwei Gruppen aufgelassen werden.
Die Zukunft des Brieftaubensports in Deutschland sieht W. Vedder nicht rosig, und damit dürfte er nicht falsch liegen. Der Nachwuchs fehlt, es gibt – wenn überhaupt – zu wenig Kinder und Jugendliche, die sich hierfür begeistern könnten. Die Zeit, die finanziellen Mittel und die räumlichen Voraussetzungen, die dieses Hobby erfordern, macht es für junge Leute heute nicht mehr besonders attraktiv. Und das Problem lässt sich auch nicht einfach durch die Bildung von Schlaggemeinschaften lösen, wie es heute hin und wieder versucht wird.
Wer beinahe 65 Jahre aktiv als Brieftaubenzüchter tätig ist, hat viel mit seinen Vögeln erlebt. Zwei Begebenheiten sind ihm aus unterschiedlichen Gründen in nachhaltiger Erinnerung.
Das erste Ereignis liegt schon einige Jahre zurück. Im Jahr 1995 ging der vorletzte Wettflugtag ging über eine Strecke von 500 km, als seine beste Taube vom Wettflug in den Schlag geflogen kam. Ggeflogen kann man nicht sagen, denn sie landete praktisch mit dem Bauch auf dem Anflugbrett. Sie hatte sich unterwegs schwer verletzt: Beide Beine waren gebrochen und hingen praktisch nur noch an den Sehnen. Das Bild dieses Elends ist ihm noch heute vor Augen. Ihr Anblick habe ihm einen Stich ins Herz gegeben, sagt W. Vedder. Er hat nun nicht gemacht, was mancher den Taubenzüchtern unterstellt, wenn sie die Verletzung von Regeln des Tierschutzes im Umgang mit den Tauben vermuten. Er hat sie nicht getötet, sondern beide Beine geschient und verbunden und sie soweit hinbekommen, dass sie in der nächsten Saison wieder an Wettflügen teilnehmen konnte. Dabei ist es für W. Vedder eher nebensächlich, dass die Taube im Jahre ihrer Verletzung RV Meister wurde, obwohl sie den letzten Flug nicht mehr mitfliegen konnte. Das besonders Schöne an dieser Erlebnis ist, die Taube war in der nächsten Saison wieder flugfähig, holte bei acht Flügen sieben Preise. Vom letzten Flug kam sie allerdings nicht mehr zurück und Vedder vermutet, dass sie unterwegs von einem Raubvogel geschlagen wurde.
Die zweite Begebenheit ist noch ganz frisch in Erinnerung, da in dieser Saison passiert. Vor 14 Tagen sollten die Alt-Tauben eigentlich frühmorgens in Hemau/Aschaffenburg – Luftlinie etwa 500 km – aufgelassen werden. Das Wetter war aber so schlecht, dass die Taubenkörbe wieder in den Reisebus geladen wurden und in Richtung Heimat zurück gebracht werden sollten. Kurz vor dem Ende der Rückreise in Lüdenscheid – das Wetter hatte sich inzwischen gebessert – entschied der Auflassleiter, die Tauben fliegen zu lassen, damit sie zumindest noch ein Trainingseinheit absolvieren konnten. Es sollte sich für Vedders Spitzentaube als keine gute Idee erweisen. Sie hätte nach knapp einer Stunde mit den anderen Tauben zu Hause sein müssen. Aber das war nicht der Fall. Auch bis zum Abend nicht und nicht am nächsten Tag. Seine Spitzentaube, zugleich auch seine Lieblingstaube blieb verschollen. Sein Herz ist ihm richtig schwer geworden, als er sich nach einer Woche vergeblichen Wartens damit abzufinden begann: Diese Taube siehst Du nicht wieder.
Es ist wohl so: Als Züchter mag man alle seine 100 Tauben, aber die ein oder andere mag man noch lieber und diese hatte er besonders in sein Herz geschlossen. Vermutlich kann nur jemand nachempfinden, der selbst Tauben züchtet, wie groß seine Freude war, als die Taube nach genau 8 Tagen wieder auf dem Dach ihres Schlages landete – etwas verstört, aber ansonsten muter und fidel.