Roidige Hunde & Vollpfosten
Eine Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 31.07.2019
In Moskau kehrten dieser Tage Sondereinheiten der Polizei Demokratie-Demonstranten von den Straßen: brutal! Da könnten sich unsere eine Scheibe abschneiden – vielleicht gibt’s ja mal wieder einen G-20-Gipfel oder einen Schwarzen Donnerstag? Doch Spaß beiseite: In Hongkong marschieren die Protestanten jetzt ja sogar vor dem Flughafen auf und behindern den pünktlichen Blindflug in die Volksrepublik. Und in Echterdingen (Südschland) dringen Friday-for-Future-Fans bis an die Ticketschalter vor – mit Genehmigung! Dabei wollen viele Flieger ja nur nach Berlin (5,99 Euro) oder Zürich. Attacke auf die steuerfreie Kacke.
Aber leben wir nicht in einer der wenigen übriggebliebenen Demokratien? Hier wird gelehrt, wie Mehrheiten gefahrlos den kommenden Weltuntergang proklamieren und ignorieren können – zeitgleich und schamlos: Flughafenbetreiber, Stadt, Staat und Ortspresse bejubeln die angesagte Steigerung der Passagierzahlen. Vollpfosten. Trost bietet da allenfalls die Kreuzfahrt, auch wenn Schiffe der Kreuzfahrer nie ohne unser Zutun sinken würden.
Momentan sind sogar die Straßen der Welt ein unsicheres Pflaster, ob in Nürtingen oder Caracas. Für unsere auswärtig Lesenden: Nürtingen gehört zur europäischen Metropolregion Stuttgart und ist u.a. auch Heimat der Punkband Roidige Hunde. Muss man weder kennen noch füttern – aber vergangene Woche wurde ein Fan der Punker wegen seines T-Shirts von sechs Jugendlichen gestellt, zusammengeschlagen und lebensgefährlich verletzt. Die Band ist links – aber es war kein rechtsradikaler Angriff, sagt die Polizei, und der Mann lebt ja noch. Was hilft da die Warnung meiner Omi Glimbzsch in Zittau? „Gehe nie bei Rot alleine rüber“, mahnte sie schon zu Zeiten, als es in der DDR noch gar keine Ampeln gab. Heute gibt es sie, doch die Fußgänger bleiben weg. Ein einziges Scheitern – und andere kentern, denn selbst das Wasser ist nicht mehr das, was es mal war: Der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck (Ex-DDR) wollte auf See, kam aber nur bis Wustrow (Ex-DDR). Dort kenterte sein Segelschulschiff – der Mann wurde von der Seenotrettung aus dem Flachwasser gezogen und blieb unverletzt. Das wäre ihm auf dem Mittelmeer nicht passiert.