100 Ochsen – Eine Kolumne von Peter Grohmann

100 Ochsen

Eine Kolumne von Peter Grohmann

KONTEXT:Wochenzeitung vom 02.10.2019

Worauf es in den nächsten 14 Tagen ankommt, weiß meine Lokalzeitung: „Der Alltag wird zur Nebensache.“ Endlich! Auf Wies’n und Wasen wird in diesen Tagen um die Wette gesoffen. 500 Ochsen, 100 000 Göckele. Wo ich mich doch schon so auf den Prozess gegen VW gefreut habe. Ja, ich weiß, der kann Jahrzehnte dauern – aber ich habe Zeit. Die große Frage: Nutzt auch VW diese Zeit? Wäre es für so eine so betrugserfahrene Firma nicht ein Leichtes, ab sofort die Unternehmensgewinne in eine Steueroase zu verschieben?

Nein, nicht einmalig, jedes Jahr. Bereits heute fließen unbekanntlich und weltweit rund 40 Prozent der Unternehmensgewinne in Steueroasen ab. Macht (abgerundet) satte 650 Milliarden Dollar – die Steuereinnahmen darauf, die auf Nimmerwiedersehen verschwinden und den Staatshaushalten verloren gehen, machen mehr als 190 Milliarden Dollar aus. Jahr um Jahr – und nebenbei bemerkt: Geld, das Kontext sehr gut brauchen könnte (jedes Jahr). Ganz gemein ist aber, dass diese mehr oder weniger legale Steuertrickserei die EU-Länder und allen voran das deutsche Reich trifft, was natürlich vor allem die eine Partei da ärgern müsste. Tröstlich: Bei uns gehen nicht 40 Prozent, sondern nur rund 30 Prozent der Unternehmensgewinne den Bach runter, wollen Wissenschaftler der Universitäten Berkeley und Kopenhagen ausgerechnet haben. Berkeley – mehr muss man nicht sagen.

Eigentlich wollte ich Greta Thunberg ja in Frieden lassen, ihr noch etwas Zeit geben, sagen wir: zehn, zwanzig Jahre. Zeit, die wir als politisch Handelnde, als Verantwortliche in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmen usw. ja alle hatten. Aber nachdem alle Ochsen und Göckele auf der jungen Frau herumhacken, hab‘ ich nachgedacht und kann Ihnen nun sagen, woher diese Hackerei kommt. Die sind eifersüchtig! Sie haben, wie man in Untertürkheim sagt, in ihrem politischen Dasein selbst „nëx nabrôcht“ (für Emigranten: nichts Rechtes hinbekommen). Daher der Neid. Sie haben zu wenig Plätze für Alte und Pfleger, zu wenig Schienen, zu wenig Kindergärtnerinnen, zu wenig Sozialwohnungen, zu wenig Schulen, zu wenig für die Armen, sie haben zu wenig Stimmen bei den Wahlen, zu wenig Verantwortung. Sie verbreiten zu wenig Hoffnung und zu viel Ideologie („Wohlstand für alle“), zu viel Waffen, Glyphosat und Atommüll. Ihre Hinterlassenschaften heißen Trump oder Johnson oder Kurz oder Höcke, kaputte Landschaften und Millionen Menschen, die auf den nächsten Zug nach Nirgendwo warten.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit mehr als 7 Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion und Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne. Näheres unter:

https://www.kontextwochenzeitung.de/kolumne/444/100-ochsen-6219.html

 

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