Wanderung rund um den Mont Blanc

Auch so kann man den höchsten Berg Europas „bezwingen“

Vorbemerkungen: Und er bewegt sich noch. Seit über 40 Jahren ist unser Redaktionsmitglied Diethelm Textoris auf internationalen Weit- und Fernwanderwegen unterwegs. Genauso lange berichtet er in der Lokalpresse über seine teilweise abenteuerlichen Touren.
Insgesamt 22 Länder hat er auf drei Erdteilen bereist, inzwischen ist  er kilometermäßig einmal die Erde gegangen. Im vergangenen Monat war er wieder auf Tour. Mit zwei Lüner Wanderkollegen umrundete er zu Fuß den höchsten Berg Europas, den Mont Blanc. Nachfolgend lesen Sie seinen ausführlichen Wanderbericht :

„Wenn alles gut geht, werden wir in drei Tagen oben sein.“ Die beiden jungen Männer, die wir in der Seilbahn von Les Houches nach Bellevue treffen, verbreiten Optimismus. Mit oben meinen sie den Gipfel des 4810 m hohen Mont Blanc. Diese Alternative haben wir nie erwogen, als ich mit meinen Lüner Wanderkollegen Klemens Nottenkemper und Theo Wulfert die „Tour du Mont-Blanc“ auf unseren nächsten Wanderplan setzte. Dazu fehlt uns die notwendige bergsteigerische Erfahrung und bei einem Durchschnittsalter von 68 Jahren wohl auch die notwendige Kondition. Unser Ziel war die Umkreisung des höchsten Bergs Europas auf einem 170 Kilometer langen Rundkurs. Was uns gegenüber den Gipfelstürmern noch den Vorteil brachte, dass wir im Gegensatz zu ihnen das gewaltige Bergmassiv von seinen unterschiedlichen Seiten immer mit einen Panoramablick vor uns liegen sahen.

Klemens Nottenkemper (li), Diethelm Textoris und Theo Wulfert

Klemens Nottenkemper (li), Diethelm Textoris und Theo Wulfert

Dass es sich nicht um einen gemütlichen Spazierweg, sondern um eine alle Kräfte erfordernde Herausforderung handelte, merken wir bereits am ersten Tag. Wir starten in der Schweiz am Col de la Forclaz in 1527 m Höhe, müssen gleich 200 Meter absteigen und beginnen danach den Aufstieg zum 2190 m hohen Col de Balme.

Col de la Balme

Col de la Balme

An der dortigen Refuge stellen wir fest, wie wenig man auf Meinungsäußerungen in Internetforen geben kann. Die Wirtin, dort als „geldgierig“ und „unfreundliche Hexe“ bezeichnet, zeigt sich uns ganz anders. Als wir sie um ein Foto bitten, setzt die etwa 80-jährige Frau ein verschämtes Jungmädchenlächeln auf, und die 3,50 € für ein Getränk erweisen sich auch als human. Bei späteren Einkehren zahlen wir bis über 9 € für ein großes Bier.

Jeder der weiteren Tage bietet weitere Herausforderungen oder Überraschungen. Auf dem Weg zum Lac Blanc wählen wir versehentlich die schwierigere Route über die Aiguilette d‘Agentière, so dass wir mit unseren gut 10 Kilo schweren Rucksäcken über Steilstufen und in die Felsen eingelassene Eisenleitern klettern müssen, uns immer vorsichtig festhaltend und mit dem freien Fuß den nächsten Leiteranschluss suchend. Kurz darauf lösen sich die Schuhsohlen von Klemens‘ Wanderschuhen. „Just à tempes“, weil wir sowieso nach Chamonix runter wollen. Wie gut, dass mein erstes französisch gelerntes Wort „Cordonnier- Schumacher“ war. Und der kann die lädierten Schuhe wirklich kleben, so dass sie bis zum Ende der Tour halten.

Schwankende Hängebrücke am Bionnassy Gletscher

Schwankende Hängebrücke am Bionnassy Gletscher

Am Bionnassy Gletscher ist eine schwankende Hängebrücke über einem tosenden Wasserfall zu überqueren, nichts für ängstliche Gemüter. Zunehmend macht uns auch die Hitze zu schaffen. Oft nähert sich schon am Morgen das Thermometer der 30 Grad Marke. Da wir uns häufig in Höhen über 2000 Metern bewegen, sind Schattenplätze kaum zu finden. Den Col de Tricot (2120 m) erreichen wir in der glühenden Mittagshitze, am Abstiegspfad zu den Chalets de Miage (1559 m) steht nicht ein Baum.

Erschöpft suche ich hinter einem Felsen ein wenig Schatten, meine Wanderfreunde haben sich unter niedrigen Sträuchern verkrochen. An manchen Tagen trinken wir über 5 Liter, ignorieren die hohen Preise auf den Hütten und in den Gasthäusern, zahlen bereitwillig 4 € für ein Erfrischungsgetränk, nach der Gewöhnungsphase kommen uns 6 € für 0,5 Liter Bier äußerst preiswert vor. Dafür machen wir uns über Leute lustig, die für eine Sauna auch noch Geld bezahlen.

Über meine Frage, was einen Kanadier zur Mont-Blanc-Umrundung bewegt, ist Richard aus Quebec verwundert: „Weißt du denn gar nicht, dass das einer der berühmtesten Wanderwege der Welt ist?“ Wir wussten es bisher nicht, und viele Deutsche scheinen es auch nicht zu wissen. Dafür treffen wir Menschen aller Nationalitäten: Spanier, Dänen, Briten, Iren, Australier, Amerikaner, Koreaner, Japaner, Chinesen. Wer neben faszinierenden Eindrücken von landschaftlichen Schönheiten internationale Kommunikation sucht, der ist hier richtig.

Nachteil: Es gibt keine einsamen Pfade. Und bei der stark frequentierten Strecke sind die Hütten sind oft zum Bersten voll. Im Rifugio Elisabetta wird jedem von uns in einem Massenlager ein Schlafplatz von knapp 50 cm angeboten. Ein Platz, den man sich nach einem Toilettengang wieder neu erkämpfen muss.

Die Hütte Elisabetta Soldini in 2200 m Höhe

Die Hütte Elisabetta Soldini in 2200 m Höhe

Nach dieser Nacht mit sehr schlechtem Schlaf fühlen wir uns alle drei nicht richtig fit, so dass wir unsere Tagestrecke mit einer Busfahrt durch das Tal „Val Ferret“ abkürzen. Im stark frequentierten Rifugio Bonatti, wo man uns erst nach Zureden aufnimmt, genießen wir trotz mehrerer Zimmergenossen den Luxus eines eigenen Bettes und halten erschöpft einen ausgiebigen Nachmittagsschlaf.

Am nächsten Morgen sind meine Wanderschuhe nicht mehr zu finden. Wir erinnern uns nicht mehr, wo wir sie hingestellt haben. Klemens behält die Ruhe und schaut im Keller etwa 40 Paar Schuhe durch. Fehlanzeige. Jetzt befällt mich leichte Panik, schließlich liegen noch drei Tagesetappen vor uns. Theo findet sie schließlich draußen unter einer Bank. Erschöpft hatte ich sie am Vortag ausgezogen und einfach stehen gelassen.

Da ich bei Auf- und Abstiegen relativ langsam bin, werde ich immer wieder von anderen Wanderern überholt. Häufig hole ich sie aber bei deren Pause wieder ein. Am letzten Tag überholt mich eine französisch sprechende Gruppe. Ich frage die Letzte in der Reihe nach ihrer Herkunft. Die Gruppe kommt aus Kanada. Ich erinnere mit an Charles de Gaulle und wiederhole seinen legendären Satz: „Vive le Quebec libre.“ Als in den nächsten Pass erreiche, hat die gesamte Gruppe auf mich gewartet, schwingt die Wanderstöcke mir zu Ehren und ruft laut: „Vive le Quebec libre.“ Eine Zeichen, dass viele Einwohner des frankophonen Bereichs immer noch von der Unabhängigkeit träumen. Bei der letzten Volksabstimmung waren nur 50,5 % für einen Verbleib bei Kanada.

Als wir nach 10 Tagen wieder den Col de la Forclaz erreichen, hat sich der Kreis geschlossen. Viermal haben wir eine Ländergrenze überschritten. 170 Kilometer Strecke und 11.000 Meter Aufstieg und ebenso viele Abstiegsmeter lagen hinter uns. Für alle Mühen wurden wir mehr als entschädigt: Immer wieder boten sich atemberaubende Ausblicke auf das gewaltige Bergmassiv mit seiner Gletscherwelt, immer wieder kamen wir durch Gebiete von beeindruckender landschaftlicher Schönheit.

Blick auf den Mont Blanc.

Blick auf den Mont Blanc.

Wir beglückwünschten uns schon fast gerührt zu unserer Leistung und stellten fest, dass wir ein tolles Team waren. Vor allem aber waren wir dankbar, dass wir trotz manch schwieriger Situation alles gut überstanden hatten.

Info:
Die Wanderroute „Tour du Montblanc“ führt durch die Schweiz, Frankreich und Italien. Der Weg ist je nach Schneelage von Ende Juni bis Anfang September begehbar.
Benötigt werden 8 bis 12 Tage bei Tagestouren zwischen 6 und 12 Stunden.
Informationen unter : www.autourdumontblanc.com/de
Hinweis: Zur Vergrößerung der Fotos diese bitte anklicken. Fotos © Diethelm Textoris

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