Wenn Aufsicht und Prüfer versagen hat das fatale Folgen nicht nur für Aktionäre
Der Zahlungsdienstleister ist pleite. Das Unternehmen will wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anmelden.
Wer trägt – neben den kriminellen Machenschaften einiger großmannssüchtiger Bosse – die Verantwortung für den Bankrott? Es gab rechtzeitig Hinweise zur Vermeidung der Pleite.
Ist etwa die Deutsche Börse in der Verantwortung, die bei der Aufnahme in den DAX nicht genug geprüft hat? Ist es die Finanzaufsicht Bafin, die einiges übersehen hat oder sind es die Wirtschaftsprüfer, die Bilanzen testieren oder die Aufsichtsräte, die den Vorstand kontrollieren sollten?
Ein Schuldeingeständnis gibt natürlich niemand ab.
So reiht sich der Skandal um die Pleite von Wirecard nahtlos die Pleitenserie großer Unternehmen ein (u.a. Schlecker, Arcandor/Karstadt, Praktiker Baumarkt).
Als Lehre aus der Finanzkrise 2008 nach der Lehman-Pleite sollten bei Bilanzprüfungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten Mandate an Wirtschaftsprüfer nur noch zeitlich limitiert vergeben werden, damit es keine zu engen Verbindungen zwischen Vorstand und Prüfern gibt. Ebenso sollten Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung voneinander getrennt werden. Umgesetzt wurden diese Maßnahmen nicht. Mit fatalen Folgen.
Bafin und Bundesbank haben entschieden, dass Wirecard ein Technologieunternehmen und kein Finanzkonzern ist. Das war eine krasse Fehlentscheidung, weil der Konzern nichts anderes getan hat, als Geld hin und her zu schieben. So sah sich die Bafin nur für die Tochtergesellschaft Wirecard-Bank aufsichtspflichtig.
Was macht Wirecard eigentlich?
So wirklich greifen konnte man das Geschäft des Zahlungsdienstleisters nicht. Schließlich produziert Wirecard keine Gebrauchsgüter wie Smartphones, Autos oder Kleidung.
Wirecard wurde 1999 gegründet und war anfangs vor allem auf die Abwicklung von Zahlungen von Porno- und Glücksspiel-Internetseiten fokussiert. Aktuell arbeiten den eigenen Angaben zufolge mehr als 5800 Menschen weltweit an 26 Standorten für das Unternehmen aus Aschheim in der Nähe Münchens. Zu den Kunden zähl(t)en unter anderem die niederländische Airline KLM, das O2-Mutterunternehmen Telefónica, Aldi oder Ikea.
Wirecard hat dafür gesorgt, dass Zahlungsströme in Milliardenhöhe bargeldlos zwischen Millionen Kunden und Hunderttausenden Händlern fließen konnten. Konkret heißt das: Wenn irgendwo im Internet oder in einem Laden am Kartengerät elektronisch bezahlt wurde, hat Wirecard dafür gesorgt, dass das Geld beim Empfänger ankommt, und kassiert dafür eine Gebühr. Diese Art von Geschäft benötigt Treuhandkonten. Denn bisweilen kauft jemand ohne gedecktes Konto ein. Dann begleichen von Wirecard gefüllte Treuhandkonten als eine Art Versicherung für den Händler offene Beträge. Treuhandkonten wurden für Umsätze in Asien bis 2018 in Singapur und ab 2019 auf den Philippinen geführt.
Bafin bewertet kritische Presseberichte falsch
Spätestens bei den ersten Enthüllungen in der kritischen Artikelserie „House of Wirecard“ der Financial Times hätten alle Alarmglocken schrillen müssen. Die Wirecard-Aktie verlor daraufhin an Wert.
Doch statt die Wirecard-Macher stärker ins Visier zu nehmen, eröffnete die deutsche Finanzaufsicht Bafin eine Untersuchung gegen Investoren, die mit sogenannten Leerverkäufen auf fallende Kurse gesetzt hatten und erstattete Strafanzeige wegen verbotener Marktmanipulation.
Strafanzeige erstattete die Bafin skandalöserweise auch gegen Reporter der Financial Times, die angeblich den Wirecard-Aktienkurs in den Keller schreiben wollten, um per Finanzwetten davon zu profitieren.
Von der Finanzaufsicht unbehelligt konnten die Wirecard-Macher ihre kriminelle Energie ausleben. Bis zum Super-GAU. Im Juni dieses Jahres informierten die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young das Unternehmen darüber, dass sie keinen Nachweis über die Existenz von Bankguthaben in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro hätten und dass es Hinweise gebe, dass es zu Täuschungen gekommen sei. Es verdichteten sich die Anzeichen für einen Milliardenbetrug. Vorstandsmitglied Jan Marsalek wird gefeuert und taucht unter. Markus Braun, Vorstandschef, landet in Untersuchungshaft.
Welche Verantwortung trägt die Politik?
Das Bundeskanzleramt hatte seit Ende 2018 mehrfach Kontakt zum inzwischen insolventen Dax-Konzern Wirecard sowie zu Beratern des Unternehmens. Dabei spielten auch der ehemalige Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, sowie wie bereits bekannt Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eine Rolle.
Nun wirft die Lobbyarbeit Fritsches weitere Fragen auf. Noch sei unklar, ob Fritsche zusammen mit zu Guttenberg oder eigenmächtig gehandelt hat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wiederum habe bei ihrer China-Reise im September 2019 das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard angesprochen. „Zum Zeitpunkt der Reise hatte sie keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard“, verlautete aus dem Kanzleramt.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), zu dessen Ministerium die Bundesanstalt Bafin gehört, sieht sich vermehrter Kritik ausgesetzt. Ab wann wusste er, dass es beim DAX-Konzern Wirecard möglicherweise nicht mit rechten Dingen zuging? Er versucht nun mit Reformvorschlägen, die Kontrollmechanismen zu optimieren und sich selbst der Kritik zu entziehen. Die Antwort auf die entscheidende Frage muss er mit seinen Gesetzesvorlagen geben: Wie lässt sich verhindern, dass es erneut zu milliardenschweren Betrügereien in Konzernen kommt?
Lobbyismus – ein Grundübel?
Für die Organisation Lobbycontrol sind die verschiedenen Verbindungen zwischen Wirecard und der Bundespolitik ein Indiz für Reformbedarf im Hinblick auf Lobby-Aktivitäten. „Deutlicher kann man nicht machen, warum eine Demokratie maximale Transparenz beim Lobbyismus braucht“, erklärte Timo Lange von Lobbycontrol. „Der Fall zeigt, welch zerstörerische Durchschlagskraft Lobbyismus haben kann.“
Lange verwies auf die Pläne der Koalitionsfraktionen, vor Jahresende ein verbindliches Lobbyregister einzuführen. „Die aktuellen Skandale unterstreichen, wie wichtig es ist, dass ein Lobbyregister auch Lobbyarbeit gegenüber der Bundesregierung, Ministerien und Kanzleramt erfasst“, mahnte er. „Eine Schmalspurlösung, die nur den Bundestag betrifft, reicht nicht aus.“
Was hat der Steuerzahler zu befürchten?
Der mutmaßliche Betrugsskandal beim Dax-Konzern Wirecard kann die Staatskasse teuer zu stehen kommen. Grund sind mögliche Steuerrückforderungen in Millionenhöhe. Da der Wirecard-Vorstand seine Bilanzen um 1,9 Milliarden Euro aufblähte, zahlte das Unternehmen auch zu hohe Steuern.
Der Steuerbescheid Wirecards muss also nachträglich nach unten korrigiert werden. So zumindest ist in solchen Fällen gängige Praxis, wie es bei Steueranwälten und Insolvenzverwaltern heißt.
Der Insolvenzverwalter wird nun die verbliebenen Vermögenswerte meistbietend an Investoren veräußern, um damit die Forderungen an die Insolvenzmasse zu bedienen. Die Aktionäre als „Eigentümer“ von Wirecard müssen sich in diesem Prozess ganz hinten anstellen, das heißt Gläubiger werden zuerst bedient. Anleger, die nun mit der billigen Aktie auf Schnäppchenjagt gehen wollen, sollten dies unbedingt berücksichtigen.