Buchempfehlung des Monats

Diane Setterfield:    Was der Fluss erzählt

Mario Lars: Bücher

„Es war einmal…“ ein verwunschenes Dorf in einer magischen Landschaft im viktorianischen England. Schon zu Beginn wird ein märchenhafter Grundton des Romans vorgegeben, dessen Handlung sich wie die titelgebende Themse mit Haupt- und Nebenflüssen durchs Land mäandert.

Fluss und Geschehen sind gekonnt ineinander verschränkt, mit vielerlei Spiegelungen treiben beide Themenstränge einander überraschend voran und legen den märchenhaft-mystischen Grundton fest. Der Kern der Geschichte, dass in einer stürmischen Winternacht ein schwerverletzter Fremder ein Gasthaus betritt, mit einem anscheinend ertrunkenen Mädchen im Arm, das Stunden später wieder zu atmen beginnt, leitet eine vielschichtige Erzählung ein.

Sie verbindet die Anfänge der Fotografie (Henry Taunts Collodium-Nassplatten-Bilder) und diverse Flusssagen (z.B. die des Fährmanns Quietly, der in Not Geratene meist ans rettende Ufer, manchmal aber auch an das andere Ufer des Styx bringt) mit der Erörterung der Kunst des Erzählens, der Beschreibung von Liebe der verschiedensten Art und dem Thema der Grenzüberschreitung auch und gerade zwischen Leben und Tod. Auf das gefundene Kind erheben verschiedene Parteien Anspruch. Ob sie nun Amelia, Ann oder Alicia ist, ein entführtes Kind der oberen Mittelschicht, eine ertrunkene kleine Schwester oder das Enkelkind einer Farmersfamilie – die Gewissheiten schwanken, Unsicherheiten bestehen fort. Wie bei den meisten Teilen dieses wunderbaren Romans bleibt trotz der rationalen Aufklärung und Verknüpfung der losen Handlungsenden stets ein kleiner Rest Geheimnis und Rätsel. Nicht immer siegt das Rationale so klar, wie wenn sich die zweifelhafte Spiritistin als frühe Psychologin entpuppt. Der Zusammenfluss von magischem und modernem, rationalen Denken ist die Grundlage eines großartig erzählten Schauerromans und Schmökers im besten Sinn.

Hella Koch – Buchhandlung am Amtshaus