Einkommensschwache Länder haben das Nachsehen
Es ist so weit: Auch in Deutschland wird seit dem 27. Dezember gegen das Coronavirus geimpft. Es könnte ein Wendepunkt im Kampf gegen die Pandemie sein – bei uns und weltweit. In einer Situation begrenzter Kapazitäten ist es sicher richtig, die verletzlichsten Gruppen zuerst zu schützen: die Alten, die Pflegebedürftigen sowie all diejenigen, die in ihrem Job täglich gegen die Krankheit kämpfen, etwa Ärzte, Krankenschwestern und Rettungssanitäter.
Doch die ersten Impfungen verlaufen schleppend. Stationäre Pflegeeinrichtungen müssen ihr Impf-ok geben. Die Aufklärungsgespräche dauern bei den zu Impfenden länger, Einverständniserklärungen von Betreuern müssen eingeholt werden. Hinzu kommt der Lieferengpass des Vakzines. Die öffentliche Kritik am EU-Zeitplan (Zulassung, Impfstart) entzündete sich auch vor dem Hintergrund der bereits Mitte Dezember erfolgten Impfstarts in den USA und in Großbritannien.
Die Beschaffung des Impfstoffs wurde im Sommer 2020 an die Europäische Union delegiert.
In Deutschland ist jetzt der Aufschrei groß, weil angeblich zu wenig Vakzin geordert wurde. Die Kommission hat offenkundig suboptimal verhandelt. Die Chefs von BioNTech und Moderna berichteten, sie hätten der EU bei Vertragsabschluss im November mehr Dosen zur Verfügung stellen können.
Die Zurückhaltung der EU-Kommission hatte Gründe. Der erste war die angestrebte Risikostreuung. Es sollte nicht nur bei einem oder zwei Pharmaunternehmen geordert werden, sondern auch bei weiteren Firmen, die aussichtsreiche Fortschritte bei der Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes gemacht hatten. Nur auf Vakzine von BioNTech und Moderna zu setzen erschien den Brüsseler Entscheidern zu risikoreich. Außerdem stand zum Zeitpunkt des Beginns der Verhandlungen im Herbst 2020 noch nicht fest, welchen Wirkungsgrad die Impfstoffe erzielen würden. Ein weiterer Grund waren die großen Preisdifferenzen. Je Dosis kostet das Moderna-Vakzin 18 Euro, jenes von Biontech-Pfizer 12, für beide sind zwei Impfungen notwendig. Der Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens Astra-Zeneca* kostet dagegen nur 1,76 Euro. Eine Moderna-Impfung ist damit zehnmal so teuer wie eine Astra-Zeneca-Impfung, bei vorausgesetzter gleicher Wirksamkeit. Hochgerechnet auf 450 Millionen EU-Bürger ergibt sich damit ein Kostenunterschied von 16,2 Milliarden Euro (Moderna) zu 1,584 Milliarden Euro (Astra-Zeneca). Besonders die wirtschaftlich schwächeren EU-Staaten dürften ein gesteigertes Interesse an einer preisgünstigen Lösung gehabt haben.
*aus EU-Kreisen war zu erfahren, dass Astra-Zeneca für die Zulassung noch nicht alle nötigen Unterlagen zu Nebenwirkungen, Beipackzettel, Sicherheitsvorkehrungen eingereicht hat. Darauf haben die Behörden in Großbritannien im Rahmen ihrer Notzulassung verzichtet.
Wie viel Impfstoff steht in Deutschland zur Verfügung?
Bis Ende Januar 2021 werden in Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium drei bis vier Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, das sind 670.000 Impfdosen pro Woche. Für das erste Quartal wird mit elf bis 13 Millionen Dosen gerechnet. Für das gesamte Jahr bekommt Deutschland von BioNTech mehr als 85 Millionen Impfdosen. Wenn alle Impfstoff-Kandidaten zugelassen werden sollten, erhält Deutschland voraussichtlich insgesamt 300 Millionen Dosen.
Reiche Nationen sichern sich Impfstoffkontingente
Bei den teils hitzigen deutschland- und europaweiten Debatten um Menge, Verteilung und Geschwindigkeit der Verabreichung wird die globale Dimension der Pandemie ausgeblendet. „Kein Land wird sicher sein, bevor wir alle sicher sind“, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WTO) Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Fakt ist: Mehr als die Hälfte (53 %) der Vorbestellungen stammen dabei aus Ländern, die gerade einmal 14 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Insbesondere einkommensschwächere Länder haben das Nachsehen. Rund 70 ärmere Länder werden in diesem Jahr voraussichtlich nur zehn Prozent ihrer Bevölkerung gegen Covid-19 impfen können, falls die Regierungen und die Pharmaindustrie nicht Gegenmaßnahmen ergreifen und die schnelle Herstellung von Impfdosen ermöglichen. Zu dieser Einschätzung kommt Amnesty International gemeinsam mit einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen, die sich als People’s Vaccine Alliance (PVA) zusammengeschlossen haben.
Ungerechte Verteilung statt FAIRTeilung – WHO warnt vor „Impfstoff-Nationalismus“
Fast ein Viertel der Weltbevölkerung wird auch 2022 noch keinen Zugang zu einer Corona-Impfung erhalten, schätzen Forschende der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Sie haben sich hierfür die Vorbestellungen der Corona-Impfungen genauer angesehen. Diese liegen derzeit bei fast 7,5 Milliarden Dosen, würden somit für 3,76 Milliarden Menschen reichen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO plädiert deshalb dafür, dass überall zunächst medizinisches Personal und Risikogruppen geimpft werden sollten. Dafür hat sie gemeinsam mit den Organisationen GAVI und CEPI die Initiative Covax gestartet.
Ihr Ziel ist es, einen fairen Zugang zu Corona-Impfstoffen für jedes Land der Welt zu garantieren. Zwei Milliarden Dosen will die Initiative bis Ende 2021 gemeinschaftlich einkaufen und an alle Teilnehmer-Länder gerecht verteilen.
Die EU hat bislang zugesagt, Covax mit insgesamt 400 Millionen Euro zu unterstützen, aus Mitteln der Europäischen Investitionsbank und des EU-Haushalts. Diese Summe würde allerdings lediglich für eine Impfung von höchstens 80 Millionen Menschen reichen.
Deutschland unterstützt laut Bundesgesundheitsministerium Covax im Rahmen des mit den EU-Mitgliedsländern abgestimmten Engagements mit Finanzmitteln, Expertise und Produktionskapazitäten.
Bislang haben 156 Länder zugesagt, sich an der Covax-Initiative zu beteiligen, darunter 64 mit einem hohen Einkommen, die die ärmeren finanziell unterstützen wollen. Es sind aber längst nicht alle dabei. Die USA etwa sagten bereits ab. Mit China würden noch Gespräche laufen, teilte die WHO mit.
Kritik von Ärzte ohne Grenzen
Zu Beginn der Pandemie hätten Staatsoberhäupter noch „so viel guten Willen“ gezeigt, wenn sie über zukünftige Impfstoffe gesprochen hätten, dass jeder Zugang zu ihnen haben müsse. „Wir dachten also, das sei ein Zeichen dafür, dass diesmal die Dinge anders laufen könnten, global gedacht würde und nicht die nationalen Interessen im Vordergrund stünden“, ist Kate Elder von der Organisation Ärzte ohne Grenzen enttäuscht.
Globale Solidarität sieht anders aus!