Wie Lobbygruppen seit Jahren die Politik beeinflussen, um notwendige Klimaschutzmaßnahmen ungebremst sabotieren zu können
Susanne Götze + Annika Joeres: Die KlimaSchmutzLobby
Über die Autorinnen
Susanne Götzeist promovierte Historikerin und passionierte Journalistin. Sie ist Wissenschaftsredakteurin beim SPIEGEL, arbeitet als Radiojournalistin für den Deutschlandfunk und schreibt u.a. für die SZ, die Frankfurter Rundschau, Zeitonline, National Geographic und Cicero über Klimakrise.
© Christian Ender
Annika Joeres arbeitet in Frankreich für die Investigativ-Redaktion correctiv.org und verschiedene deutsche Medien wie der Zeit. Sie ist spezialisiert auf grenzüberschreitende Recherchen zu Europa, Frankreich und Klimawandel und wurde für ihre Recherchen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
© Rebecca Marshall
Über das Buch
Der Klimawandel bedroht uns alle. Trotzdem steigen die CO2 -Emissionen ungebremst. Dieses Buch zeigt erstmals, wie Klimaschutz-Gegner seit Jahrzehnten den dringend nötigen Systemwechsel in Europa und den USA verhindern. Sie sitzen in neoliberalen Thinktanks, rechtspopulistischen Parteien und auch in Regierungen. Ihr ständiger Widerstand gegen Erneuerbare Energien, Verkehrswende und nachhaltige Landwirtschaft hat bereits großen Schaden angerichtet – darum wird es höchste Zeit, sie zu enttarnen. Denn nur wenn die Netzwerke und Strategien der Anti-Klima-Lobby offengelegt werden, kann eine effektive Klimaschutzpolitik noch gelingen.
Die politische Tatenlosigkeit mitten in der Klimakrise ist kein Zufall: Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Lobbyarbeit. Und dahinter steckt: die Klimaschmutzlobby. Ihre Argumente sind krude. ihre Finanzen undurchsichtig und ihr Einfluss reicht bis in die Regierungen. Dort verfolgen Akteure aus Wirtschaft und Politik ganz eigene Ziele: Klimaschutzgesetze zu torpedieren, die Verbrennung fossiler Rohstoffe zu fördern und Staaten dazu zubewegen, aus dem internationale Klimavertrag auszusteigen. Dieses Buch zeigt, mit welchen Strategien Klimaschutz-Bremser ihre Netzwerke aufbauen und wie sie eine wirklich effektive Effektive Klimaschutzpolitik systematisch verhindern. Ein erschütternder Bericht darüber, dass gut gemeinte Selbstverpflichtungen gar nichts bringen und ein Weckruf: Wir dürfen den Lobbyisten nicht unsere Zukunft überlassen. (Klappentext)
Inhalt
Die beiden Autorinnen haben ihren Bericht über die Klimaschmutzlobby in zwei Abschnitte unterteilt. Zunächst stellen sie die unterschiedlichen Arbeitsfelder der Seilschaften vor, danach beschreiben sie, wie und an welchen unterschiedlichen Stellen diese aktiv sind.
Einiges ist bekannt, z. B. die Bemühungen der Konzerne, die mit fossilen Brennstoffen ihre Milliarden verdienen und großes Interesse haben, dass sich daran nichts oder allenfalls nur wenig ändert. Weniger bekannt ist, wie einflußreich die Agrar-Lobby unterwegs ist – deutschlandweit und in Europa. Da sind über Jahre Netzwerke aufgebaut worden, denen es gelungen zu sein scheint, die nationalen und internationalen Gremien praktisch in Besitz zu nehmen – und das noch nicht einmal im Geheimen. So ist nachzulesen, dass mehr als die Hälfte der CDU-Mitglieder im Agrarausschuss des Bundestages 2018 zugleich ein Amt beim Bauernverband ausübte. (S. 95). Eine öffentliche Kritik über Interessenkonflikte habe es weder aus Bonn noch aus Brüssel gegeben. An anderer Stelle (S. 84) heißt es: „Von den Mitgliedern des Agrarausschusses des Bundestages der CDU/CSU-Fraktion haben 85 % einen direkten Bezug zur Land- und Agrarwirtschaft, also etwa zu Düngemittelherstellern und Fleischproduzenten.“
Die Autorinnen schildern die Dreistigkeit, mit der die Lobbyisten vorgehen, wenn sie Gesetzesvorlagen oder Verordnungen für die Ministerien entwerfen. Das dies nicht nur in Deutschland der Fall ist, sondern auch internationaler Standard – wie die Beispiele von Frankreich, Großbritannien und Osteuropa zeigen – macht die geschilderten Vorgänge nicht erträglicher.
Die Quellen, auf die sich die Autorinnen stützen, sind beeindruckend. Knapp 800 Fußnoten verweisen auf öffentlich zugängliche Regierungsdokumente, Zeitungsartikel, Onlinequellen, wissenschaftliche Publikationen und Veröffentlichung von Verbänden und einschlägigen Organisationen. Ergänzt werden diese Informationen durch Interviews.
Ist das Buch zu empfehlen? „Natürlich“, ist die Antwort des Rezensenten, denn vermutlich würden die LeserInnen es nicht glauben, in welchem Ausmaß der „Klimaschutz sabotiert“ wird und „Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen“. Nach Meinung vieler würde ein Lobbyregister, aus dem z. B. die jeweiligen Kontakte der Lobbyisten mit Regierungsmitgliedern oder mit Angehörigen der Ministerien oder auch die Nebenjobs von Abgeordneten bei Wirtschaftsunternehmen zu ersehen sind, dem bisherigen Treiben ein Ende bereiten.
Spätestens nach Lektüre dieses Buches müssten in Berlin und anderswo die Alarmglocken läuten. Das Gegenteil ist der Fall. Wie am gestrigen 3.2. in einer Eilmeldung zu lesen war, haben sich Union und SPD zum Thema Lobbyregister geeinigt.
Vorangegangen war eine blamable, fast sechsmonatige Blockade in den Verhandlungen. Nach Einschätzung von abgeordneten-watch handelt es sich bei dem vorliegenden Ergebnis um einen „traurigen Kuhhandel, der das eigentliche Ziel – Lobbyismus transparent zu machen – völlig verfehlt“.
Wer es ändern will, „dass einflussreiche Lobbyisten im Zusammenspiel mit reaktionären Politikern entscheidende Fortschritte für den Klimaschutz verhindern“ * (und dabei muss man sagen, dies alles geschieht im stillen Kämmerlein), hat jetzt im Vorfeld von Landtags- und Bundestagswahlen gute Möglichkeiten.