Weiche Knie: Wenn das Establishment schwächelt
Von Peter Grohmann
Während – angeblich! – jede 4. SUV-Käuferin grün wählt, sieht es bei den Erntehelfern aus Polen und Rumänen eher schwarz aus. Bis zu acht „Saisonkräfte“ können in einem Raum untergebracht werden, so das Gesetz. Bei Corona müssen sie allerdings nach Feierabend daheim bleiben, also im Container oder im Schafstall. Raus dürfen sie nur zum Spargelstechen. Der eine oder andere von denen ist natürlich nicht krankenversichert – das kostet immerhin knapp 48 Cent pro Tag und würde den Spargel unnötig verteuern. „Wir werden wie Vieh gehalten, sagt ein sprachloser Spargelstecher. „Ab auf die Weide und dann zurück in den Stall.“
In Frankfurt haben sich am Wochenende beim Digi-Kirchentag Christen beim Abendmahl verbotenerweise gegenseitig gesegnet, während an den Außengrenzen des Abendlandes Flüchtlinge weiter auf Segnung und Niedrigwasser warten. Andererseits: In Jerusalem ist ein staatsfrommer Israeli momentan die ganze Nacht unterwegs, um das Haus seines palästinensisch-stämmigen Nachbarn vor Brandschatzung durch anders-artige Nachbarn zu schützen – oder vor den Raketen der Hamas. Der Nachbar seinerseits ist auf Arbeit. Sein Dienst beginnt morgens um Fünfe. Der leitender Arzt im Sankt-Joseph-Krankenhaus hat seinen Doktor in der DDR gemacht. Israel fliegt Angriffe auf Terrorziele, aber die DDR hat aufgegeben. Wie man’s auch macht – es wird immer falsch verstanden!
In Xinjiang wiederum fürchtet man unterdessen die Folgen des neuen deutschen Lieferkettengesetzes: Arbeitsplatzabbau. Das wär‘ schlimmer als jeder Klimawandel. Und alles nur wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren! Unseren Firmen in Rotchina gehen also satte Gewinne verloren – und auch der Uigure gewinnt nicht. In anderen Gegenden der Welt sind wir natürlich nicht so zimperlich, denn die Grenzen zwischen echter Diktatur und echter Demokratie sind ja eh fließend. Darum kümmerte sich dieser Tage neben mir auch der Ausschuss für Menschenrechte des Bundestags. Im Demokratieindex von The Economist stehen wir übrigens auf Platz 14 (von 167), unser Freund Aserbaidschan auf 146 vor Saudi-Arabien auf 156. Alle deutlich vor Nordkorea: letzter Platz. Aufgemerkt: Maaßen im Wahlkreis 196 als schwarzes Schlusslicht. Sehen Sie, das meine ich: Alles kann sich rasch ändern, wenn man zu liberal ist. Die FDP will, wenn Erich Mende wieder gewählt wird, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehörig eindampfen. Aber Vorsicht: Selbst das beliebte Nervengift Nikotin wird schnell aus weggeworfenen Kippen ausgewaschen und sickert unmittelbar ins demokratische Grundwasser.
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer – und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine! (BB)
Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de