Vom Geheimnis der Meinungsfreiheit
Von Klaus Commer*
“Nun, Opa! Hat er gut geschlafen?” Kräht mich ein Enkel an. “Nein, hat sie nicht,” belle ich zurück. Fühlte mich noch ziemlich divers, Männlein oder Weiblein, Hund oder Katze. Es reicht für ein müdes Lächeln.
Sprache ist die Nachbarin der Fantasie. Sie halten keine eins-fuffzich Abstand. Sie tragen keinen Mundschutz. Die Generation Online duzt mich gewöhnlich und spricht mich nicht an wie der Alte Fritz seine frühen Kartoffel-Bauern. Für Enkel ist ein Opa gewöhnlich ein “Bro”, ein Bruder im Kern. Besorgt murmel ich abwehrend: “Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!” Marquis de Posa klopft mir auf die Schulter. Ich soll nicht den spanischen Infanten geben. Wir lebten in Demokratie.
Die Geburtsstunden unserer Meinungsfreiheit, also auch der staatsbürgerlichen Widerworte gegen die absolutistischen Alleinherrscher sind mir im Moment schnuppe. Selbstverständlich bin aufgeklärt und buckel nicht vor der spanischen Corona und der römischen Tiara. Jetzt bin ich der Souverän.
Der Enkel guckt mich zweifelnd an: “Schau in dein Handy.” Hunderte Mails zeigen keinerlei Respekt vor mir. Alle sind mit mir per Du. “Hallo Klaus, toll, dass du von unserem Sonderangebot…” Selbstherrlich verweigere ich die Zustimmung. Leider kommt es vor, dass ich mich verklickt habe und mir schon etwas vertickt ist. Ich werde vergessen haben, den Retouren-Schein auszufüllen und das gute Stück zum Paketdienst zu tragen. Einige Wochen später bin ich nicht mehr “Hallo Klaus”, sondern der “sehr geehrte Herr Commer”, der seine zweite Mahnung erhält.
Schau ich der Regierungsbildung nach den Wahlen zu, finde ich meine souveräne Stimme wenige Tage nach der Wahl nicht wieder. Ich habe genau die Partei gewählt, die in der wichtigsten meiner zwölf Fragen das genau passende Wahlversprechen abgab. Ich beobachte, wie meine Maxime “Menschlichkeit statt Militär” in den Koalitionsdebatten gerade als Nebensache versenkt wird. Richtig, ich verfügte ja nur über eine von rund 60,4 Millionen abgestimmten Meinungsfreiheiten. Was aus meiner Stimme wird, weiß das vielzitierte Wahl-Geheimnis. Es sei denn, ich erhebe sie hier und da auch öffentlich.
*Klaus Commer hat kath. Theologie studiert, danach aber lange Zeit als Pressesprecher der damaligen Pädagogischen Hochschule Ruhr gearbeitet, später nach der Fusion der PH Ruhr mit der Uni Dortmund in gleicher Funktion an der Universität Dortmund. Er hat sich damals als Sprachrohr aller Gruppen der Hochschule verstanden, sehr zum Ärger einiger konservativer Hochschullehrer. Denn er war politisch links orientiert und wäre gerne praktizierender Kommunist gewesen – nicht einer Marke Stalin oder Ulbricht, sondern eher der Marke Fidel Castro.
Trotz seines fast biblischen Alters trägt er immer einen Sack voller Ideen mit sich herum und kann sie, wenn es gut läuft, in exzellente Texte und Taten umsetzen.
Den LeserInnen von MENGEDE:InTakt! ist er im letzten Jahr durch die Kolumne bekannt geworden: „Die Zahl des Monats“ (K.N.)
Fotos: Archiv MIT