Zu kurz gesprungen
Eine Kolumne von Cawi Schmälter
Man mag es nicht glauben, aber inzwischen hatte ich mich fast daran gewöhnt: Jeden Morgen, gleich nach dem Aufstehen, blickte ich nach Betätigung des Rollladen-Gurtwicklers in das Gesicht eines freundlichen Mannes. Angelehnt an einen dort vorhandenen Birkenbaum und völlig aktivitätslos fixierte er mich, schaute unentwegt schlumpfig grinsend in meine Richtung und versuchte mich so zu animieren, bei der anstehenden Bundestagswahl das Kreuzchen an der richtigen Stelle – nämlich an seiner – anzubringen.
Ob er mich politisch überzeugen konnte, verrate ich nicht. Für mich gilt im Gegensatz zu einem anderen zur Wahl stehenden, mit karnevalistischem Frohsinn vorbelasteten Kanzlerkandidaten die Pflicht der geheimen Wahl.
Erleichtert war ich trotzdem und froh, nicht im Wahlkreis Südthüringen aus dem Fenster blicken zu müssen. Als Einwohner der Städtchen Suhl, Schmalkalden, Meiningen, Hildburghausen oder Sonneberg hätte sich stattdessen unter Umständen das Konterfei des dortigen Favoriten für die Direktkandidatur in mein morgendliches Blickfeld gedrängt: Das Bild eines Bewerbers um die Erststimme im dortigen Wahlkreis 196. Eines Menschen, der als ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz wegen seiner nationalistisch geprägten Amtsführung trotz des Rückhaltes seines einflussreichsten Förderers zurücktreten musste. Selbst die Fürsprache dieses Mentors im Ministerrang, der sich zu seinem 69. Geburtstag nichts sehnlicher gewünscht hatte, als die vollzogene, gewaltsame Abschiebung von exakt 69 Afghanistan-Füchtlingen vermelden zu dürfen, reichte bekanntlich seinerzeit nicht aus, ihn im Amt zu halten.
Nun also ein neuer Anlauf über ein angestrebtes Bundestagsmandat. Die Chancen für ihn standen nicht schlecht, da er damit rechnen durfte, auch von den ganz Rechten unterstützt zu werden. Doch das Kalkül ging nicht auf. Selbst im tiefschwarzen Thüringen störte man sich an den durchschimmernden braunen Flecken und wählte einen der Ihren. Wahltag ist Erntetag!