Worte, nichts als Worte!

Worte, nichts als Worte

Eine Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 28.10.2015

Während in Guatemala ein Kabarettist die Wahl gewinnt – das macht mir Hoffnung –, wollen sich im Herzen Europas die polnischen mit den ungarischen Clowns verbrüdern. Da vergeht uns das Lachen. Jenseits von Oder, Neiße und Donauquelle haut die selbst ernannte Mitte der Gesellschaft auf den Putz. Das alte System ist überrascht und erschüttert.

Längst redet auch bei uns die Mitte Klartext und lässt – noch stellvertretend – zu, dass andere den Knüppel aus dem Sack holen oder die Kastanien aus dem Feuer, wie man’s nimmt. 1000 brennende Unterkünfte lassen uns ja immer noch relativ kalt, und am Arsch vorbei geht die Frage, wie lang es noch dauert, bis Marine Le Pen Präsidentin des EU-Parlamentes wird.

Wenn beim Brüsseler Flüchtlingsgipfel mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten einfach abtauchen, steht ja nicht nur dem Europagedanken das Wasser bis zum Hals. Meiner Omi Glimbzsch aus Zittau tät da der alte Marx einfallen: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des …“ Weiter konnte sie nicht – die Wende kam dazwischen.

Die politische Führung Deutschlands und ein Teil der mitregierenden Opposition müssen schnell neue Methoden entwickeln, um wiedergewählt zu werden. Die Schönwetterdemokratie ist zu Ende, es wird kalt. Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels fordert schon mal angesichts der Ost-West-Spannung, die zu allem Elend noch dazukommt, eine weitere Aufrüstung der Truppe – genau die richtige Antwort in Zeiten des Kalten Krieges.

Im Rüstungsbericht dieser Tage haut Sigmar Gabriel mit der Nachricht auf die Pauke, dass zwar mehr Schlachtermaterial verkauft worden ist, aber eben kaum noch gefährlich. Hausschlachtung also, Waffen als Kinderspielzeug für die Buben in Katar. Klar, eine Diktatur! Aber nennen Sie mir mal eine einzige Diktatur, wo die Menschenrechte nicht missachtet werden! Die neueste Lieferung umfasst 62 Leopard-2-Panzer und 24 Panzerhaubitzen im Wert von etwa zwei Milliarden Euro – lächerliche Summen also.

Wo das Positive bleibt? Statt vorgezogener Neuwahlen, weil Merkel kippt, eine vorgezogene Adventsaktion der Bundesregierung: Um Hunger- und Kältetote zu vermeiden, könnte sie täglich zwei, drei Transall-Maschinen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge einsetzen, um dringend benötigte Medikamente, Nahrungsmittel für Kinder und warme Klamotten da runter zu bringen. Könnte.

Gebt mir eure Müden, eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,
Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten;
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt ich mein Licht am gold’nen Tore!

(Text an der New Yorker Freiheitsstatue)

Worte.

Anmerkung: Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Stuttgarter Bürgerprojekts „Die AnStifter“.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit drei Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne.
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