Fragen zur neuen Radverkehrsstrategie für Dortmund
Dortmund möchte den Radverkehr weiter stärken. Dies ist eines der Ziele des Zielkonzeptes „Masterplans Mobilität 2030“, das im März 2018 vom Rat der Stadt Dortmund beschlossen wurde. Bis zum Jahr 2030 soll der Radverkehrsanteil von 10 % auf 20 % verdoppelt werden. Als Ziel wurde beschlossen: Dortmund wird Fahrradstadt. Weitgehende Einigkeit besteht bei den Akteuren auch in der Situationsanalyse: Der Radverkehr hat in den vergangenen Jahren sichtbar zugenommen, was auch durch die Ergebnisse einer Mobilitätsbefragung aus dem Jahr 2019 bestätigt wird. Künftig wird dem Radverkehr zusammen mit Bussen und Bahnen eine zentrale Bedeutung bei der Gestaltung der Verkehrswende zukommen, denn Radfahren macht mobil, ist kostengünstig, leise, umwelt- und klimafreundlich und trägt zu mehr Lebensqualität in der Stadt bei. Mehr Radfahrten bedeuten auch weniger Autofahrten und weniger verkehrsbedingte Luftschadstoffe und Lärm.
Zudem gibt es einen hohen Handlungsdruck und eine hohe Erwartungshaltung der Dortmunder Bevölkerung. Dies zeigte sich z. B. darin, dass im Juni 2019 die Initiative „Aufbruch Fahrrad Dortmund“ eine Unterschriftenliste mit NRW-weit über 200.000 Unterschriften eingereicht hat. Davon kamen allein 30.000 aus Dortmund, bezogen auf die Einwohnerzahl, so viele wie in keiner anderen Stadt. Auch die monatlich stattfindenden Radausfahrten unter dem Titel „Critical Mass“, als auch die regelmäßig stattfindende „Kidical Mass“, also Rad-Demonstrationen speziell für Eltern mit Kindern, sind deutliches Zeichen eines geschärften Bewusstseins für die vorhandenen Defizite und die zukünftigen Potenziale im Radverkehr. (K.N.)
Peter Fricke ist in verschiedenen Initiativen – in Dortmund und darüberhinaus – für eine Verkehrswende aktiv. MIT hat ihn zum vorliegenden Entwurf der „Radverkehrsstrategie“ befragt:
„Dortmund will Fahrradstadt werden“, so lautet eine vom Rat der Stadt Dortmund im Jahr 2019 verabschiedete Botschaft.
In diesen Tagen ist der „Entwurf einer Radverkehrsstrategie“ auf den Weg in die politische Beratung gegeben worden, mit der die Leitlinien für die künftige Entwicklung des Radverkehrs bis zum Jahr 2030 festgelegt werden sollen. Ist aus der vorliegenden Strategie erkennbar, ob es mit dem ambitionierten Ziel – Fahrradstadt – ernst gemeint ist?
Ja, leider! Die Radverkehrsstrategie ist sehr enttäuschend und kündigt vieles wieder auf, was vom Rat zur Fahrradstadt Dortmund beschlossen wurde, z.B. die Qualitätsstandards für gute und breite Radwege an allen Straßen in der Baulast der Stadt.
Aufbruch Fahrrad Dortmund, VeloCityRuhr und das Team der Kidical Mass Dortmund lehnen die vorgeschlagene Radverkehrsstrategie daher ab, denn ihre Umsetzung würde zu einem weiteren verlorenen Jahrzehnt für den Radverkehr in Dortmund führen.
Wir schlagen der Politik vor, die Radverkehrsstrategie in der gegenwärtigen Fassung nicht zu beschließen und stattdessen eine grundlegende Überarbeitung durch eine Arbeitsgruppe aus Verwaltung, Initiativen und Verbänden zu beschließen.
Was kritisieren Sie an der Radverkehrsstrategie?
Die Radverkehrsstrategie weist aus unserer Sicht vier grundsätzliche Probleme auf.
Erstens folgt sie einer Vorstellung von Radverkehrsplanung, die überholt ist. Weltweit hat sich in den letzten fünfzehn Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass erfolgreiche Radverkehrsförderung das subjektive Sicherheitsgefühl viel stärker berücksichtigen muss und dass Radverkehrsplanung nicht primär für Intensivradler stattfinden soll, sondern ein attraktives und einladendes Angebot für den Alltagsverkehr von Kindern, Ungeübten, Älteren und denjenigen schaffen muss, die heute noch das Auto nutzen. Dazu müssen auf Hauptstraßen Rad- und Kfz-Verkehr stärker getrennt werden und aus Nebenstraßen der Kfz-Durchgangsverkehr herausgenommen werden. Die Radverkehrsstrategie hat dafür nur Lippenbekenntnisse übrig, die ohne konkrete Auswirkungen auf die Qualitätsstandards und die Maßnahmenpakete bleiben und bezieht sich ansonsten nur auf fünfzehn Jahre alte Regelwerke, die de facto veraltet sind.
Zweitens steht sie im Widerspruch zum Ratsbeschluss zur Fahrradstadt Dortmund vom Dezember 2019. Damals waren Qualitätsstandards beschlossen worden. Für alle Radwege an Straßen in der Baulast der Stadt sollte künftig eine Regelbreite von 2,3 m und eine Mindestbreite von 2,0 m gelten. Die Radverkehrsstrategie will den Beschluss aufheben und diesen Standards nur noch auf einen winzigen Anteil der Straßen anwenden. Das ist eine Kriegserklärung an die Radfahrenden.
Drittens ist sie unambitioniert und ungeeignet, in den nächsten zehn Jahren eine wesentliche Verbesserung für den Radverkehr zu erreichen. Die geplanten Hauptrouten sollen an Hauptstraßen nur „anlassbezogen“ umgesetzt werden, wenn eine Straße ohnehin umgebaut wird, was vielleicht alle 50 Jahre passiert. Für die Nebenrouten gibt es gar keinen Zeitplan, sie sollen irgendwann in der unbestimmten Zukunft folgen. Das einzige, was in den nächsten zehn Jahren wirklich umgesetzt werden soll, sind die sogenannten Velorouten, die dem Radverkehr aber wenig nutzen. Velorouten sind heute schon gut befahrbare Tempo-30-Zonen, bei denen man das Tempo-30-Schild durch ein Fahrradstraßenschild austauscht und dabei etwas rote Farbe und viel Marketing mitbringt. Für den Radverkehr verbessert sich kaum etwas, aber für den oberflächlichen Beobachter sieht es so aus, als würde etwas getan. Die Änderung der Vorfahrt von Rechts-vor-Links zugunsten der Veloroute ist zwar ein Pluspunkt, aber dennoch sind ein paar Velorouten als einziges halbwegs verbindliches Element einer Radverkehrsstrategie, die ein ganzes Jahrzehnt abdecken soll viel zu dürftig.
Viertens fehlen verbindliche quantitative jährliche Ausbauziele für Haupt-, Neben- und Velorouten ebenso wie ein Zeitplan, Zwischenziele und eine regelmäßige Erfolgskontrolle auch bezüglich des Radverkehrsanteils. Das Fehlen dieser Instrumente in der Vergangenheit hat dazu geführt, dass die Stadt in den letzten 25 Jahren alle selbst gesteckten Ziele zur Steigerung des Radverkehrs verfehlt hat. Das darf sich nicht wiederholen.
Der Pressemeldung der Stadt ist zu entnehmen, dass das vorliegende Konzept in einem intensiven Austausch mit dem begleitenden Arbeitskreis „Masterplan Mobilität 2030 und und der Öffentlichkeit von der Verwaltung erarbeitet wurde. Die Verwaltung hat sich in der Vergangenheit nicht durch einen intensiven Austausch mit der Öffentlichkeit ausgezeichnet. Ist das beim vorliegenden Entwurf der Radverkehrsstrategie besser gewesen?
Am Arbeitskreis war ich nicht beteiligt, aber die Beteiligung der Öffentlichkeit war schon speziell. Es gab nur eine Veranstaltung zur Radverkehrsstrategie, und bei dieser war ausgerechnet das Kernelement der Radverkehrsstrategie, die Netzplanung, nicht fertig, sodass die ganze Angelegenheit sinnlos war. Das war kein Bürgerdialog, sondern eine Karikatur von Öffentlichkeitsbeteiligung.
Zudem wurde die klare Zusage gebrochen, die Radverkehrsstrategie sehr frühzeitig im Beirat Nahmobilität zu behandeln. Aufgabe dieses Beirats aus Verbänden, Initiativen, Politik und Verwaltung ist es, grundsätzliche Themen der Nahmobilität in Dortmund in einem sehr frühen Stadium zu beraten und Empfehlungen für die Verwaltung, die Fachausschüsse, die Bezirksvertretungen und den Rat der Stadt zu erarbeiten. Aufgrund schlechter Erfahrungen hatte der Beirat sich ausdrücklich diese eigentlich selbstverständliche frühe Beteiligung bei der Radverkehrsstrategie zusichern lassen. Die Zusage wurde gebrochen. Eine Beteiligung des Beirats erst nach der Beratung in den Bezirksvertretungen und wenige Wochen vor dem Rat, wie sie derzeit geplant ist, ist sinnlos und entspricht nicht der Aufgabe des Beirats.
Als wesentliches Element der Strategie werden die verschiedenen Hierarchieebenen bezeichnet, die den unterschiedlichen Anforderungen von Alltags- und Freizeitverkehr gerecht werden sollen. Das künftige Netz besteht aus neun Velorouten, dem Radschnellweg Ruhr (RS1) sowie dem Alltags- und Freizeitnetz. „Alter Wein in neuen Schläuchen?“ – oder doch etwas mehr?
Wie die Hierarchie des Netzes ist, ist gar nicht so entscheidend, wichtiger wäre, dass endlich mal etwas davon auf der Straße ankommt. Die Dreiteilung in Haupt-, Neben- und Freizeitnetz ist durchaus vernünftig, nur die Velorouten passen nicht so ganz dazu. Sie wirken wie nachträglich eingefügt, und man könnte fast meinen, sie sollen nur davon ablenken, dass in den nächsten zehn Jahren kein Alltagsnetz gebaut werden soll. Das so offen zu sagen, würde unschön klingen, also sagt man lieber, dass Alltagsnetz und Velorouten gebaut, aber in den nächsten zehn Jahren die Velorouten „priorisiert“ werden.
„Radverkehr als System planen“, heißt es im vorliegenden Entwurf. Das wird eine deutliche Mehrheit unterschreiben können. Was müsste sich aus Ihrer Sicht in Politik und Verwaltung in Dortmund ändern, um diesem Ziel näher zu kommen?
Das größte Problem ist das fehlende Personal. Das muss endlich massiv aufgestockt werden, sonst wird es beim Radverkehr nicht voran gehen.
Außerdem gibt es offenbar ein enormes Problem beim Projektcontrolling. Wie kann es sein, dass der Planungsdezernent sich im November 2019 in Zeitungsartikeln mit den Worten zitieren lässt, der Radschnellweg werde in 3-4 Jahren vollständig fertig gestellt werden, und dann sind drei Jahre später noch nicht einmal die dazu nötigen Stellen im Tiefbauamt geschaffen?
Und das dritte Problem ist die lethargische Radverkehrspolitik der Parteien. Man lässt sich zwar im Wahlkampf gern auf dem Fahrrad fotografieren und verspricht das Blaue vom Himmel, aber nach der Wahl werden der Verwaltung keine ausreichenden Ressourcen (besonders Personal) zur Verfügung gestellt und Zielkonflikte werden viel zu oft zulasten des Radverkehrs gelöst.
Herr Fricke, herzlichen Dank und gutes Gelingen!
Fotos: Pressestelle der Stadt Dortmund o.l.; Aufbruch Fahrrad: r.o. und r.u. . Zur Vergrößerung der Fotos diese bitte anklicken!