Es ist Krieg
Der Einmarsch Putins in die Ukraine ruft fassungsloses Entsetzen hervor. MIT hat zwei Zuschriften erhalten. Einmal von Diethelm Textoris, der sich an Udo Lindenbergs Lied „Wozu sind Kriege da?“ erinnert und daran eigene Überlegungen anknüpft; zum anderen von Eva Latterner, die am letzten Donnerstag ein sehr bewegendes Gespräch mit einer Schülerin aus ihrer Deutschgruppe hatte. Hierzu schreibt Eva Latterna: Die junge Frau ist tschetschenischer Herkunft und hat angesichts des Ukrainekrieges lange und sehr emotional über ihre eigenen Erfahrungen gesprochen. Sie ist nicht die Erste, die in der kleinen Deutschgruppe von Kriegserfahrungen berichtet. Ich konnte nur zuhören, nicht trösten.(K.N.)
Wozu sind Kriege da?
Udo Lindenberg
Keiner will sterben
Das ist doch klar
Wozu sind denn dann Kriege da?
Herr Präsident
Du bist doch einer von diesen Herren
Du musst das doch wissen
Kannst du mir das ‚mal erklären?
Keine Mutter will ihre Kinder velieren
Und keine Frau ihren Mann
Also
Warum müssen Soldaten losmarschieren?
Um Menschen zu ermorden mach mir das mal klar
Wozu sind Kriege da?
Herr Präsident
Ich bin jetzt zehn Jahre alt
Und ich fürchte mich in diesem Atomraketenwald
Sag mir die Wahrheit
Sag mir das jetzt
Wofür wird mein Leben auf’s Spiel gesetzt?
Und das Leben all der ander’n sag mir mal warum
Die laden die Gewehre und bring’n sich gegenseitig um
Sie steh’n sich gegenüber und könnten Freunde sein
Doch bevor sie sich kennenlernen schießen sie sich tot
Ich find‘ das so bekloppt
Warum muss das so sein?
Habt ihr alle Milliarden Menschen überall auf der Welt
Gefragt
Ob sie das so wollen
Oder geht’s da auch um Geld?
Viel Geld für die wenigen Bonzen
Die Panzer und Raketen bau’n
Und dann Gold und Brillianten kaufen für die eleganten Frau’n
Oder geht’s da nebenbei auch um so religiösen Twist
Dass man sich nicht einig wird
Welcher Gott nun der wahre ist?
Oder was gibt’s da noch für Gründe
Die ich genauso bescheuert find‘
Na ja
Vielleicht kann ich’s noch nicht verstehen
Wozu Kriege nötig sind
Ich bin wohl noch zu klein
Ich bin ja noch ein Kind
Dieses Lied, von Udo Lindenberg geschrieben, von ihm zusammen mit dem damals 10-jährigen Pascal Kravetz gesungen, ist im Oktober 1981 als Single erschienen. Da es nie seine Aktualität verloren hat, wurde es von ihm in späteren Jahren immer wieder mit verschiedenen DuettpartnerInnen gesungen, u.a. mit Joan Baez als Vertreterin der amerikanischen Friedensbewegung. Für ein Life Konzert mit der Russin Alla Pugatschowa wurden auch Zeilen in die russischer Sprache übersetzt.
Entstanden in der Zeit des Kalten Krieges und vor dem Hintergrund des Nato-Doppelbeschlusses, musste der Liedinhalt auch immer wieder Anfechtungen aushalten, vom Vorwurf des popkulturellen Antiamerikanismus bis zur Diffamierung als Anti-Kriegsschnulze. Auch die Herabwürdigung als „Verfall in eine Babysprache“ musste es aushalten, weil die Fragen nach dem Sinn des Krieges aus der Sicht eines zehnjährigen Kindes gestellt werden. Ich konnte diese negativen Wertungen nie nachvollziehen. Ich erinnere mich noch an die Konzerte, in denen mir jedes Mal bei diesem Lied Schauer über den Rücken liefen oder die Tränen kamen. Und in diesen Tagen, wo der Krieg nach der Entscheidung eines einzelnen, dessen Taktik fatal an die von Adolf Hitler vor dem zweiten Weltkrieg erinnert, der wie jener alle Friedensbemühungen demokratischer Politiker auflaufen ließ, wieder einmal Europa erreicht hat, habe ich es mir wieder angehört und die aktuellen Kommentare gelesen.
Ich glaube, dass viele Eltern in diesen Tagen genau die im Text gestellten Fragen beantworten müssen. So schreibt eine Großmutter am vergangenen Donnerstag: „An einem Tag wie heute, merke ich, wie tief mich dieses Lied immer wieder berührt. Unser Enkelkind ist 10 Jahre alt und hat mich gestern gefragt: “ Omi verstehst du das mit Russland?“ Nein, hab ich ihr gestern geantwortet. Da hatte ich noch Hoffnung, dass es nicht zum Schlimmsten kommt. Diese Hoffnung hat sich heute früh zerschlagen. Ich habe Angst vor einem Krieg. Wie erkläre ich das meinem Enkelkind?“ Ein anderer schreibt: „Und dann sitzt 2022 meine fast 10-jährige Tochter in ihrem Kinderzimmer und singt dieses Lied…. ich hatte noch nie so Gänsehaut und Tränen in den Augen wie gerade in diesem Moment.“ Eine heute fast 50-jährige meint: „Heute ist Donnerstag, es ist der 24. Februar 2022… 1981 – ich war sechs Jahre alt, als mein großer Bruder die Platte auflegte und wir saßen auf seinem Bett, das Plattencover in der Hand und sangen mit. Das ist jetzt 41 Jahre her, doch die Frage ist geblieben! Wozu sind Kriege da…“
Wir können nur hoffen dass dieser Wahnsinn nicht in eine nicht mehr abzuwendende Katastrophe führt und so schnell wie möglich beendet wird. Und dass wir dann vielleicht ein anderes Lied von Udo anstimmen und dessen Inhalt auch durchsetzen können: „Komm, wir ziehen in den Frieden.“
Übrigens: Am kommenden Montag ist um 19.00 Uhr in Lünen vor dem Rathaus eine große Friedensdemonstration, der man sich auch von Mengede aus anschließen kann. Ich finde, man kann in diesen Tagen nicht oft genug gegen den Krieg und für den Frieden demonstrieren.
Diethelm Textoris
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„Es ist Krieg, Jewa, Krieg!“
Etwas ist anders, als sie an diesem Donnerstagmorgen zum Deutschunterricht ins Familienzentrum Breisenbachstraße kommt. Kein Lächeln, kein fröhliches „Guten Morgen.“ Sie setzt sich auf ihren Platz und kann die Tränen nicht zurückhalten. „ Es ist Krieg, Jewa, Krieg!“
Und dann erzählt sie von ihrem Leben, ihrem Alltag, damals, im Tschetschenienkrieg. Immer wieder der Satz: „Ich weiß, was Krieg ist, was er mit den Menschen macht.“ Die junge, aus Tschetschenien stammende Frau spricht davon, dass die Menschen anfangs glaubten, der Krieg dauere nur wenige Tage. Zehn Jahre sind aus den Tagen geworden. „Und Europa hat geschwiegen.“
Sie kann nicht alles, was sie bewegt, auf Deutsch wiedergeben, wechselt ins Englische, macht russische Einsprengsel. Es dauert an manchen Stellen ein Weilchen, bis ich alles verstehe. Sie erzählt von Diskriminierungen und Repressalien, die sie und ihre Familie erfahren haben, in den Jahren, als sie in Moskau lebte. „Putin verfolgt alle Menschen, die nicht russisch sind. Er will es ihnen schwer machen, und er will einen Keil zwischen die Menschen treiben.“ Er verbreite Hass auf Andersdenkende, auf Oppositionelle, auf die, die sich ihm entgegenstellen. Sie erwähnt Alexej Nawalny.
Und immer wieder der Krieg, den sie erlebt hat; und der neue Krieg, der ihr große Angst macht. Sie hat Freundinnen und Bekannte, die nicht wissen, wie es ihren Lieben in der Ukraine geht und wie es überhaupt weitergeht. Sie hat Kinder, mit denen sie wegen der direkten Betroffenheit im Freundeskreis über den Krieg sprechen muss.
Sie hofft, dass Europa jetzt endlich nicht mehr schweigt, sondern entschlossen und gemeinsam gegen Putin vorgeht.
Dieser Donnerstagmorgen hinterlässt mich rat- und hilflos. Ich kann nur zuhören und muss dabei selbst um Fassung ringen.
In unserem Stadtbezirk leben viele Menschen mit ähnlichen Geschichten, Menschen aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Syrien, Afghanistan…….
Eva Latterna