Liebe Putin-Versteher – Eine Kolumne von Peter Grohmann

Liebe Putin-Versteher

Von Peter Grohmann

Nicht nur in der DDR galt es, Stalin auf Teufel komm raus zu ehren. Tatsächlich mußte ich als Kind heulen, als der Vielfachmörder 1953 und viel zu spät das Zeitliche segnete. Die Erleuchtung über diesen Klassenfeind kam erst später, als sein Nachfolger Nikita Chruschtschow vor 66 Jahren in seiner Geheimrede vor dem ZK der KPdSU einen Teil der Verbrechen Stalins, der KP und seiner Getreuen aufdeckte. Ich wurde zum Chruschtschow-Versteher. In der UdSSR wurde vordem alles, was nicht der Parteilinie bedingungslos folgte, vergiftet, erschossen, in den Knast gesteckt und im besten Fall nach Sibirien deportiert – Sozialisten aller Farben, Kommunisten aller Länder, Anarchisten, Juden, nationale Minderheiten.

Mit Michael Gorbatschow (Glasnost, Perestroika – Wandlung, Offenheit, Erneuerung) wurde ich 1985 mit meiner Omi Glimbzsch in Zittau zum Gorbatschow-Versteher, wodurch das Ende der DDR eigeleitet wurde und sich selbst die alte Tante UdSSR dank westlicher Hilfe nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte.

Memorial (denk mal selbst) war danach Kopf und Kragen der russischen Zivilgesellschaft, wenn auch einseitig gelähmt durch Putin. Memorial geht’s trotz aller Schikanen und Verbote darum, die lang verschwiegenen Verbrechen des Stalinismus – Gulag, Terror, Repression – öffentlich zu bearbeiten. Dem schob Wladimir einen Riegel vor: Wer bei Memorial arbeitet oder anstiftet, wird zum Staatsfeind. Korruption und Repression nahmen in den letzten Jahren in Russland in hohem Maße zu – der kurze und holprige Weg in eine demokratische Gesellschaft wurde von Putin und seinen Gardisten, der neuen Nomenklatura und den Oligarchen gesperrt. Ich ahne, dass vieles davon von den Putinverstehern übersehen wird und sie im neuen Russland immer noch die alte UdSSR vermuten. Ich vergess‘ dabei nicht, was wir doch alle wissen müßten: Russland ist umzingelt. Die West-Raketen sind aber nicht darauf angewiesen, in der Ukraine stationiert zu werden, um Moskau zu erreichen.

Auch wenn alles unsicher ist – das ist todsicher: Krieg löst keine Probleme und bleibt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu Putins Krieg braucht’s daher keine pazifistischen Verweise auf die Ausrottung der Indigenen oder die Kolonialisierung der Welt, auf die Verbrechen des CIA, die Kriege der USA oder die despotischen Verbündeten der NATO. Es genügt der Blick dieser Tage auf die schwarzen Ukrainer, die mit einem Fußtritt empfangen werden, es genügt die Blick an die Außengrenzen der EU, dorthin, wo christliche Blindheit herrscht, dorthin, wo jahrelang und immer noch die Menschenrechte ertränkt werden. Es braucht auch keine militärstrategischen Empfehlungen der grün-gelb-roten Frontkämpferverbände. Es braucht keine öffentlich-rechtlichen Scharfmacher in den Medien, die allen journa-listischen Anstand vergessen. Es braucht den Aufstand in Moskau, den kompletten Gas-Kaufstopp von uns, das wär‘ ehrlich und nützlich und schmerzhaft. Es braucht hier und dort und radikale Pazifisten statt Kanonen, Gesprächsbereitschaft, glaubhafte Sicherheitsangebote und (ganz unter uns) kürzere Tische und einen guten Nervenarzt für Putin. Hass und Hetze helfen der russischen Opposition so wenig übern Berg wie sie die Menschen in den Bunkern und auf der Flucht schützen.

Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de