Der Stalinzar
Von Peter Grohmann
So tief kann auch ein Kommunist sinken: Wenn sich die 8,87 m hohen, mit Blattgold verzierten Flügeltüren im Kremls-Saal öffnen und der Stalinzar gemessenen Schrittes ins eigene Land einmarschiert, schlägt ihm eine heiße Welle der Sympathie entgegen – Russlands Schauspieler waren schon immer erste Sahne. Alles Bolschoi – da bleibt kein Auge trocken. Dabei bleibt eine Frage aber bisher ungestellt: Wie lassen sich Putins Minderwertigkeitskomplexe heilen? Ein Wettschwimmen mit Joe Biden reizt ihn wohl eher nicht.
„Ich habe großes Verständnis für die russischen Sicherheitsbedenken im Hinblick auf die Einkreisung durch die NATO und die Stationierung von Vorwärtsraketen“, sagt der linke schottische Menschenrechts-Aktivist Craig Murray, einst britischer Botschafter in Usbekistan. Aber einen Regimewechsel durch eine Invasion – das geht garnicht, sowas können sich nur die die Amis leisten. In seinem ersten Leben hatte der Ex-Diplomat allerdings Pech: Er wurde aus dem diplomatischen Dienst gezwungen, nachdem er die Anwendung von Folter aufgedeckt hatte. Assange lässt grüßen. Der hatte früher auch mal Ideale.
Jede Zeit, überall auf der Welt, lebt von den Ideen, für die sich die Menschen begeistern lassen – Wohlstand, Jesus, Sozialismus, Panzerfäuste, Eisbein mit Sauerkraut, Scholz und Baerbock, ein trockener Spätburgunder, Hitler, Stalin, Hegel oder Brezeln vom Waible im Heusteigviertel, bewaffnete Drohnen, Atomkraftwerke, Apollinaris. Nicht erst seit der Oktoberrevolution, sondern schon seit 150 -180 Jahren vor Putin lebten wir von der Idee, dass der Mensch – also ihr, ob aus Berlin oder Heslach, aus Leningrad oder Pittsburg oder Kinshasa – aus eigener intellektueller Kraft die Welt komplett erkennen und perfekt beherrschen könnt – wenn man euch ließe. Die Leute von heute, also die meisten, sind davon überzeugt, dass sie die Fähigkeiten haben, immer neuere, schönere, bessere, größere Maschinen, Apparate und Vorrichtungen zu erfinden und zu bauen, die ihr Leben erleichtern, es sicherer und bequemer und erträglicher machen. Das beschäftigt sie wie uns in der MEZ den ganzen Tag, sofern wir Arbeit haben. Wir träumen sogar nachts davon. Aber auch davon, dass wir unseren Arbeitsplatz verlieren könnten, dass es dass es plötzlich in Luanda oder Lwiw kein Brot oder in Kiel kein Sonnenblumenöl mehr gibt und keinen Matrosenaufstand, dass Mikroplastik roundup die Muttermilch versaut oder die VR China unseren Müll nicht mehr wüll. Alles tragisch.
Als die Sowjetunion, die Stiefmutter aller Völker, baden ging – Glasnost hin, Perestroika her – haben viele Kommunisten die Bergwerke und Ölfelder und die Stahlwerke und die Autobahnen privatisiert und wurden Oligarchen. Vielleicht liegt ja da ein Hund begraben? Manchmal träume ich schwer / Und dann denk ich es wär / Zeit zu bleiben und nun / Was ganz andres zu tun …
Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de