Vaterlandsverräter
Von Peter Grohmann
Ich muss mich entschuldigen, nein, jetzt ganz ernsthaft! Warum? Weil ich den Kriegsdienst verweigert habe, 1961! Ich fand Franz Josef Strauß (damals Verteidigungsminister) zum Kotzen wie alles, was nach Militär roch. Unsere Väter und ihre Mütter hatten ja genug angerichtet in der Welt und der Ukraine, dacht‘ ich damals, und so hab‘ ich Willy Brandt 1969 an die Macht gebracht. Vorher, dacht‘ ich damals, war nur Hass und alte Nazi wie Globke und Kiesinger (oder war’s Filbinger?) und Speidel und eine naziverseuchte Justiz.
Ein Jahr später – 1970 – sank Willy Brandt unerwartet auf die Knie – ein deutscher Kanzler beugt sich im kommunistischen Polen nieder, gewissermaßen als Krönung einer neuen Ostpolitik, besiegelt im Warschauer Vertrag. Aber auch ich hatte schon vorher Mist gebaut und 1958 / 59 mit 22 Jahren an der Bürgerbewegung „Kampf dem Atomtod“ teilgenommen, nur wegen Hiroshima. Was die Ostpolitik angeht: Willy Brandts Geste war Demut und Bitte um Vergebung für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs: Die Welt nahm’s und ab und ernst. Nazirichter und Generäle, Medienschaffende, Unter- nehmen und Politiker im deutschen Land blieben weitgehend verschont, auch in der DDR. Ja, so war das eben damals mit der „Ungesühnten Nazijustiz“.
Die namensgleiche Ausstellung dazu voller beweiskräftiger Dokumente wurde behindert, verboten, verjagt, die Initiatoren juristisch verfolgt. So bleiben eben bis heute auch die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und ihrer ukrainischen Helfer mit dem heißgeliebten Nationalhelden Stepan Bandera ungesühnt und werden unter die neuen Teppiche gelehrt. Bandera war Anführer der Ukrainischen Nationalisten. Im Juni 1941 – Überfall auf die Sowjetunion – wurden die deutschen Soldaten in Lemberg von Banderas Truppen mit Brot und Salz, mit Blumen und Jubel freudig empfangen. Ukrainer und Deutsche stürzten sich dann gemeinsam auf die jüdischen Einwohner der Ukrainischen SSR. Am Ende ermorden sie in mehreren Pogromen Tausende Menschen: Sie hatten sich der Vernichtung von nationalen Minderheiten verschrieben. Banderas Idee, der auch Polen und Russen, ‚Zigeuner‘ und alle anderen Minderheiten hasste: Je mehr Juden beim Einmarsch der Deutschen getötet werden, umso besser. Von den 2-3 Millionen ukrainischen Juden fielen während des Zweiten Weltkriegs in etwa 1,5 Millionen dem Holocaust zum Opfer, hunderttausende flohen ostwärts, viele schlossen sich der Roten Armee an befreiten ein sich „bis auf den letzten Blutstropfen“ wehrendes Deutschland vom Faschismus.
Samuel, den wir als Kinder Sascha nannten, war ukrainischer Soldat einer vorwiegend jüdischen Einheit der Roten Armee. Er brachte zweimal die Woche Brot und Suppe den deutschen Kindern in die zerstörten Vororte Breslaus. Aber das war damals, im Frühling 1946. Das ist mehr als 75 Jahre her.
Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de