Winnetou, schon ganz meschugge
Von Peter Grohmann
Dieser Tage habe ich über mein Leben nachgedacht: Wo komm ich her, wo will ich hin, wo muss ich, wo darf ich und wo kann ich bleiben? Bei der Recherche fiel mir auf, dass wir alle ja letztlich aus Afrika kommen, menschheitsgeschichtlich gesehen, auch wenn wir heute in Berlin, Stuttgart oder Moria leben. Auf den langen Wanderungen haben sich wetterbedingt die einen mehr an Homo Faber orientiert, die anderen eher an Homo Sapiens. Die einen waren eher gezwungen, den Weg Nord-Nord-Ost zu nehmen, den anderen stand der Stern nach Nord bei Nordwest. Egal: Das Klima war schuld.
Und ob sie nun wollten oder nicht: Auf ihren Wegen mußten sie sich alles aneignen, was sie fanden, ja, ihr gesamter Körper mußte lernen, anders zu werden – heller, dunkler, weißer, roter, größer. Nirgends gab es Brillen, die Augen mußten selbst sehen, wo sie blieben. Mal aßen die Leute unterwegs rohes Fleisch, mal gebratenes (Rosmarin, Thymian!), mal tranken sie aus der hohlen Hand an den Quellen, die heute Nestle gehören, mal aus Nussschalen, wie wir sie heute im Eine-Welt-Laden finden, neben dem Schmuck der Flüchtlingsfrauen. Auf ihren Wanderungen durch die Welt eigneten sie sich das an, mehr dem Trieb gehorchend als der Not, was sie vorfanden: Bast und Baumrunden und Tierfelle, wenn’s kalt wurde, Knochen, Feuersteine, Kartoffeln aus den Anden, Essstäbchen, Winnetous Federn, damit sie von Tieren nicht gleich als Fremde erkannt und umgebracht wurden. Sie lernten Feuer- machen und Schießen und effektives gegenseitiges Umbringen. Viel, viel später gierten sie nach Coca-Cola oder in der DDR nach den strammen und stoffstarken Hosen der Arbeiter, weil die mehr aushielten als normales kapitalistisches Garn.
Wenn der Rot-Chinese von heute eine Europaflugreise macht, kommt er (Hundertpro!) in Stuttgart zu allererst ins Geburtshaus von G.W.F. Hegel und nimmt mit, was er kriegen kann. Mag sein, dass dies seine späte Rache am deutschen Studenten Kretschmann ist, der zu seiner Jugendzeit mit den Sprüchen Mao Tse Dungs (Das Rote Büchle) die Grundlagen zu Macht und Reichtum legte.
Wenn die Sonne bei Capri im Meer versinkt, fällt mir Genua ein, wo die Jeans erfunden wurden, oder die Deutsch-Amerikanerin Marlene Dietrich mit der Kaserne vor dem Tor. Dann denk‘ ich gern an die Indigenen, die auch nicht immer dort wohnten, wo sie geboren wurden, und da bin mir fast sicher: Wir waren alle mal indigen, viel, viel früher, und das ist gut so. Heute sind die meisten Leute bissel meschugge (auch geklaut). Warum gilt unsere Sorge nicht endlich dem ausbleibenden Regen in weiten Teilen Afrikas gelten, den steigenden Fluten und Meeresspiegeln, den brennenden Wäldern und schmelzenden Gletschern, den menschengemachten Katastrophen? Warum nicht der Dummheit und Ignoranz, mit der der Mensch seine Welt in Trümmer legt?
Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de