Emschergenossenschaft diskutiert Herausforderungen der Infrastrukturpolitik beim
Parlamentarischen Abend in Berlin
Die Diskussion um den Zustand der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland ist spätestens seit der diagnostizierten Zeitenwende in vollem Gange. Gleichzeitig steckt auch die Investitionsfähigkeit Deutschlands in der Krise. Komplexe Antrags- und Genehmigungsverfahren, Fachkräftemangel, ausufernde Kosten und oftmals langwierige juristische Auseinandersetzungen erschweren neue und bestehende Projekte. Für mehr Tempo will darum auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sorgen: „Wir benötigen eine neue Deutschland-Geschwindigkeit für den klimaneutralen Umbau unserer Industrie und für die Modernisierung unserer Infrastruktur“, so Klingbeil.
Wie große Infrastrukturprojekte gelingen können, hat das Ruhrgebiet eben mit diesem einzigartigen Umbau des Emscher-Systems vorgemacht. Die Emschergenossenschaft – 1899 als Deutschlands erster Wasserwirtschaftsverband gegründet und heute größter Betreiber von Kläranlagen und Pumpwerken – hat das Generationenprojekt Emscher-Umbau wie geplant in exakt 30 Jahren fertiggestellt. Auch die Kosten bewegten sich weitestgehend im geplanten Rahmen: Investiert wurden zwischen 1992 und 2021 insgesamt knapp 5,5 Milliarden Euro in die Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität im ehemaligen Kohle- und Stahlrevier.
Inmitten der am dichtesten besiedelten Region Deutschlands sind seit 1992 vier moderne Großkläranlagen, über 430 Kilometer an unterirdischen Abwasserkanälen (entspricht der Strecke Essen bis Paris) und drei gigantische Schmutzwasser-Pumpwerke entstanden. Seit Ende 2021 ist die Emscher, einst der dreckigste Fluss Europas, wieder komplett vom Abwasser befreit – erstmals nach über 170 Jahren! Mehr als 170 Kilometer an einst offenen Schmutzwasserläufen sind heute bereits wieder renaturiert.
Modellregion der sozial-ökologischen Transformation
„Durch die Industriegeschichte des Ruhrgebiets lässt sich ein besonderer roter Faden in der Entwicklung der Region nachzeichnen: von einem Revier mit einer besonders hohen Umweltbelastung hin zu einem potenziellen Modellort, in dem die sozial-ökologische Transformation vorgedacht werden kann. Unser Ziel für das Ruhrgebiet ist es, Regionalentwicklung in besonderem Maße miteinander zu verbinden und die „Grünste Industrieregion der Welt“ zu werden“, sagt Dr. Frank Dudda, Vorsitzender des Genossenschaftsrates der Emschergenossenschaft und Oberbürgermeister der Stadt Herne.
Durch den Emscher-Umbau ist die sozial-ökologische Transformation des Ruhrgebiets, die Stärkung blaugrüner Infrastrukturen, die Verbesserung der Standortqualität sowie die Erhöhung der Resilienz gegen die Veränderungen durch den Klimawandel maßgeblich gestärkt worden: Die Artenvielfalt in den Gewässern hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre verdreifacht. Der Hochwasserschutz wurde erheblich verbessert, zahlreiche Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung wurden durch den Emscher-Umbau angeschoben. Gleichzeitig bedeutete der Emscher-Umbau einen wichtigen Schrittmacher in der Region: Das Projekt hat ökonomische Effekte mit einem Gesamtimpuls von mehr als 13 Milliarden Euro angestoßen.
Was lernen wir nun aus dem Projekt für die sozial-ökologische Transformation der gesamten Bundesrepublik? „Grüne und blaue Infrastruktur stärkt nicht nur die Ökologie und den Hochwasserschutz, sie liefert auch wichtige Impulse für die Entwicklung einer Region und für die Verbesserung der Lebensqualität. Damit solche Infrastrukturprojekte gelingen können, braucht es handlungsfähige Verwaltungen und öffentlich-rechtliche Akteure. Neue Governance-Formen wie Infrastrukturgenossenschaften können künftig – in Zeiten des Fachkräftemangels und knapper werdender finanzieller Spielräume – ein wichtiger Hebel werden“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.
Die Emschergenossenschaft, als öffentlich-rechtlicher Verband dem Gemeinwohl verpflichtet, hat als Infrastruktur-Dienstleister den Emscher-Umbau in enger Abstimmung mit ihren Mitgliedern – unter anderem den Kommunen entlang der Emscher – sowie den Behörden geplant und umgesetzt. Planungsbeschleunigung erfuhr zum Beispiel der Abwasserkanal Emscher, einer der längsten unterirdischen Schmutzwassersammler Europas, durch eine Bündelung der Zuständigkeit bei der Bezirksregierung Münster – für den 51 Kilometer langen Kanal zwischen Dortmund und Dinslaken wären sonst drei Bezirksregierungen (Arnsberg, Münster, Düsseldorf) zuständig gewesen.
Bündelung von Zuständigkeiten und Kompetenzen
Als nicht-gewinnorientiertes Unternehmen investiert die Emschergenossenschaft darüber hinaus nicht nur in die Instandhaltung ihrer Infrastrukturen und Betriebsanlagen, sondern agiert vorausschauend: Ihre Kläranlage am Standort Bottrop entwickelte die Emschergenossenschaft in den vergangenen Jahren zum Hybridkraftwerk Emscher – Deutschlands erste vollständig energieautarke Großkläranlage. Zu den erneuerbaren Energie-Trägern gehören unter anderem eine Windenergieanlage, Photovoltaik sowie die weltweit größte solarthermische Klärschlammtrocknungsanlage. Noch in diesem Jahrzehnt will die Emschergenossenschaft auf all ihren Anlagen die Energieautarkie erreichen.
Zu den notwendigen und auszubauenden Infrastrukturen gehören auch jene für die Nahmobilität – ohne den Ausbau von Radwegen, vor allem in den Ballungsgebieten, wird die Verkehrswende nicht gelingen. Entlang der Emscher im Herzen des Ruhrgebietes hat die Emschergenossenschaft in den vergangenen Jahren rund 130 Kilometer an neuen Radwegen geschaffen, unter anderem den interkommunalen Emscher-Weg von der Quelle des Flusses in Holzwickede bei Dortmund bis zur Mündung in den Rhein bei Dinslaken und Voerde. „Wasser macht an Stadtgrenzen nicht Halt. Zur Bewirtschaftung der Flüsse und Bäche in der Region wurde 1899 die Emschergenossenschaft gegründet. Auch weitere städteübergreifende Herausforderungen wie die Energiewende sowie die Nahmobilität könnten weit erfolgreicher gelingen, wenn Zuständigkeiten und Kompetenzen gebündelt und entsprechend nachhaltig umgesetzt würden“, so Uli Paetzel.