Grusel zum Schampus
Als bei der Winterolympiade 2010 in Vancouver schon vor der offiziellen Eröffnung der 21jährige georgische Rennrodler Nodar Kumaritaschwili bei einem grauenhaften Trainingsunfall ums Leben kam, war das öffentliche Bedauern groß. Sogar eine Absage der gesamten Spiele wurde ernsthaft in Erwägung gezogen.
Doch dann überwog natürlich doch wieder der Kommerz. Ein wenig Maniküre an der Rennstrecke reichte gottlob aus, um weitere schlimme Unfälle zu verhindern.
Nur mit allzu großer Naivität hätte man glauben können, dass zukünftig auch das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Athleten bei der Planung von Sport-Events eine wichtigere Rolle spielen würde. Im Gegenteil: Manchmal hat man den Eindruck, spektakuläre Stürze werden als zusätzliche Würze bewusst in Kauf genommen, um durch ihre öffentliche Wahrnehmung noch bessere Verkaufszahlen oder Einschaltquoten erzielen zu können.
Ein aktuelles Beispiel ist einmal mehr das diesjährige Ski-Weltcup-Rennen in Kitzbühel. Die Schönen und Reichen unserer Zeitrechnung, die allwinterlich in diesem österreichischen Luxusort ihre Millionen verprassen, verlangen schon ein wenig Grusel zum Champagner. Und der wird ihnen auch prompt serviert.
Gleich drei Kreuzbandrisse waren das traurige Ergebnis des diesjährigen Abfahrtslaufs. Mit dem Ski-Olympiasieger und Weltmeister aus Norwegen, Aksel Lund Svindal, und den beiden Österreichern Georg Streitberger und Florian Scheiber traf es einmal mehr Spitzenathleten, die sich nun getrost ernsthaft damit abfinden müssen, dass ihre Karriere vorbei ist. Bei Scheiber und Svindal war zudem der Meniskus im rechten Knie gerissen.
Die „Mausefalle“ in der „Streif“, wie die mörderische Passage der Rennstrecke verharmlosend genannt wird, fordert jedes Jahr ihre Opfer. Im Jahre 2011 war es der Österreicher Rennläufer Hans Grugger, der schon bei der Trainingsabfahrt kopfüber auf die vereiste und somit betonharte Piste krachte. Seine lebensgefährlichen Verletzungen machten eine mehrstündige Gehirnoperation notwendig, ein wochenlanges, künstlich eingeleitetes Koma war erforderlich. Nach Monaten auf der Intensivstation und Rehabilitation gab Grugger aus gesundheitlichen Gründen das Ende seiner Karriere bekannt. Beim eigentlichen Rennen war dann der 23-jährige Italiener Siegmar Klotz, der in der Traverse zum Zielschuss abhob und im Fangnetz landete. Kaum der Rede wert: Er zog sich „lediglich“ eine Gehirnerschütterung zu und brach sich „nur“ das linke Handgelenk.
Zwei Jahre zuvor, am 22. Januar 2009 war es der Schweizer Daniel Albrecht der im Zielsprung mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einer Lungenquetschung schwer verunglückte. Nach wochenlangem künstlichem Tiefschlaf rief der mehrfache Weltmeister ein Projekt für hirnverletzte Menschen ins Leben. Seine Rennläufer-Karriere konnte er ebenfalls nicht fortsetzen.
Dem Amerikaner Scott Macartney wurde an seinem 30. Geburtstag am 19. Januar 2008 der Zielsprung in Kitzbühel ebenfalls zum Verhängnis. Bei einer Geschwindigkeit über 140 km/h stürzte er schwer, brauchte mehr als ein Jahr, um nach grausigem Schädel-Hirn-Trauma und künstlichem Koma wieder auf die Beine zu kommen.
Bereits im Training hatte sich der Österreicher Andreas Buder eine Bruch des Schienbeinkopfes zugezogen – eine Verletzung, von der er sich nie richtig erholen konnte und schließlich zum Ende seiner Karriere führte.
Auch in den Jahren zuvor waren es schwerste Stürze, die fast allesamt das Karriereende der betroffenen Rennläufer zur Folge hatten. Bei aufkeimender Kritik verweist man von offizieller Seite gern dann darauf, der jeweilige Athlet sei eigenverantwortlich, schließlich wisse er genau, welche Gefahren für Leib und Leben für ihn mit seiner Teilnahme an einem Skirennen auf der „anspruchsvollsten“ Piste der Welt verbunden seien.
Doch so einfach ist das nicht. Natürlich könnte jeder Rennläufer wegen der für ihn unwägbaren Risiken auf einen Start verzichten. Aber was wäre die Folge: Die Boulevard-Zeitungen, die sich jetzt über das Unglück mit ganzseitigen Berichten auslassen dabei gern große Farbfotos von besinnungslosen und blutenden Sportler zur Schau stellen, hätten ihre Schlagzeile schon formuliert: „ Ski-Ass XY kneift!“ Abgesehen von materiellen Nachteilen, der Imageverlust für den Athleten wäre beträchtlich. Und wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass die permanente Manipulation und Suggestion der Aktiven durch die Medien, Werbeindustrie und Verbandsoffizielle stumpf macht für eine realistische eigene Gefahrenabschätzung. Hinzu kommt der Gruppendruck: Wer will schon als „Weichei“ beschimpft werden? Das alles führt schließlich dazu, dass es immer wieder Rennläufer geben wird, die nach dem Motto: „Ein Unglück trifft immer nur die anderen“, sich das fast 100%ige Berggefälle mit Tempo 150 hinabstürzen werden und 80 Meter weite Sprünge riskieren, mit der Aussicht darauf, neben der sicherlich beträchtlichen Siegprämie als „Hahnenkamm-Sieger“ das Recht als Namensträger für eine am Kaiserhof vorbeifahrende Seilbahn-Gondel zu erwerben.
Also auf, ihr VIPs dieser Welt, auch nächstes Jahr ist „Streif“-Zeit. Euer Exklusiv-Platz beim Stanglwirt ist reserviert. Lasst den Schampus fließen. Keine Bange: An eine Entschärfung der Mausefalle ist weiterhin nicht zu denken. Im Gegenteil: Immer wieder verweist der OK-Chef „Hahnenkamm“ voller Stolz auf die „schwerste Streif aller Zeiten“ und alle applaudieren. Denn eines ist gewiss: Auch nächstes Jahr wird die Falle wieder zuschnappen, sich weitere Opfer holen und sie zum Krüppel machen. Aber das ist ja, liebe Promis, nicht euer Problem.