Was wäre, wenn …
…ich ein bedingungsloses Grundeinkommen bekäme
Vorbemerkungen:
Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein sozialpolitisches Finanztransferkonzept, nach dem jeder Bürger – unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage – eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche – vom Staat ausgezahlte – finanzielle Zuwendung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen.
Die Idee, jedes Gesellschaftsmitglied an den Gesamteinnahmen dieser Gesellschaft ohne Bedürftigkeit zu beteiligen, wird weltweit diskutiert, wobei sich der Name der Idee von Land zu Land und zu verschiedenen Zeiten unterscheidet. Zu den in Deutschland diskutierten Modellen eines BGE gehören zum Beispiel das Modell der von dem Unternehmer Götz Werner gegründeten Initiative „Unternimm die Zukunft.“ Werner – Jahrgang 1944 – ist Gründer und Aufsichtsratsmitglied des Unternehmens dm-drogerie markt.
Im Juni 2014 startete der Berliner Startup-Gründer Michael Bohmeyer das Projekt „Mein Grundeinkommen“, bei dem er per Crowdfunding Geld sammelt, um mehreren Menschen ein BGE von 1.000 € pro Monat für ein Jahr zu ermöglichen. Immer wenn 12.000€ zusammen sind, werden sie an eine Person ausgelost. Rd. 36.000 Menschen haben so 31 Grundeinkommen für die Dauer eines Jahres finanziert.
In der deutschen Parteienlandschaft wird das BGE intensiv und kontrovers diskutiert.
In der Schweiz wurde im Januar 2006 die „Initiative Grundeinkommen“ gegründet. Ihr Ziel ist es, die Idee eines BGE bekannt zu machen und die Erfolgschancen einer Volksinitiative in der Schweiz zu ermitteln.
Am 21. April 2012 startete in der Schweiz die Unterschriftensammlung für eine Eidgenössische Volksinitiative zum BGE. Am 4. Oktober 2013 wurden 126.000 beglaubigte Unterschriften in Bern eingereicht. Die Bevölkerung der Schweiz wird im Sommer 2016 über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmen.
MENGEDE:InTakt wird in unregelmäßigen Abständen über das BGE berichten und dabei auch Mengeder BürgerInnen zu Wort kommen lassen.
Den Anfang macht heute der Neu-Mengeder Wolfram Schäfer. (K.N.)
Wolfram Schäfer:
Was wäre, wenn ich ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen könnte?
Bedingungsloses Grundeinkommen ist ein furchtbares Wortungetüm! Was soll das nur heißen? Ich bekomme also nur eine ganz kleine Rente, habe trotz meiner Krankheit Multiple Sklerose ganz viel gemacht, war Konditor, im Stahlwerk, mit Behinderten gearbeitet und habe das Abitur nachgeholt und auch brav zeitig bis zum Schluss studiert. Und nu? Vielleicht gibt mir Kurt Tucholsky in seinem Gedicht aus dem Jahr 1927 „Das Ideal“ über den bestmöglichen Zustand Auskunft. Ist das vielleicht das Glück oder „Das Ideal“ , welches mir das bedingungslose Grundeinkommen näher bringt?
Kurt Tucholsky
Das Ideal
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve –
(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.
Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad – alles lenkste
natürlich selber – das wär ja gelacht!
Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.
Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Prima Küche – erstes Essen –
alte Weine aus schönem Pokal –
und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.
Ja, das möchste!
Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
Etwas ist immer.
Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat:
das ist selten.
Aber auch Tucholsky weiß, dass dieses Ideal doch nicht so perfekt und eher rein materiell ist. Nein! Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte mir dieses „Ideal“ nicht näher bringen. Es könnte mir lediglich dabei helfen, meine Existenz zu sichern und meiner Kreativität Tür und Tore zu öffnen!
Fangen wir mit meinen Englisch Trainings an. Warum gebe ich die überhaupt? Ich habe Englisch und Philosophie studiert und möchte meine Kenntnisse gern weitergeben. Natürlich brauche ich auch das Geld! Aber wenn ich die Kenntnisse – auch an Menschen mit weniger Geld – weitergeben könnte, dann wäre auch mir geholfen. Ich kann noch was tun, obwohl ich im Rolli sitze. Wenn der „schnöde Mammon“ nicht da wäre, ist vieles denkbar. Ich denke auch eine Art Tauschwirtschaft wäre möglich. „Ich bringe dir Englisch bei und du hilfst mir im Haushalt oder kochst etwas etc.“
Der Kreativität wären keine Grenzen gesetzt. Auch in der Flüchtlingshilfe würde ich mich gern stärker engagieren. Mehr Ideen wären bestimmt denkbar und umsetzbar.