Fluten und Fluchen – Eine Kolumne von Peter Grohmann

Peter Grohmann

Fluten und Fluchen

Von Peter Grohmann

Liebe ist verwegener als Hass – eine erfreuliche Feststellung von Baltasar Gracián y Morales (auch kein Deutscher, aber ich kannte ihn). Der Jesuit wäre nie auf die Idee gekommen, jemandem etwa auf gut Spanisch zuzufluchen: „Ich brech‘ dir die Knochen!“ oder den anderen beliebten Satz aus der Neuzeit: „paar in die Fresse“, manchmal noch mit Fragezeichen. Praktisch gesehen geht das ja noch: Nasenbluten. Vielleicht Nasenbeinbruch. Die gebrochene Nase heilt von allein.

Die gebrochene Nase täuscht nicht drüber weg, dass wir in den letzten Jahren einen weit gefährlicheren politischen Klimawandel erleben – Hochwasser bis Unterkante Oberlippe. Selbst geistig höhergelegene Lagen werden überflutet, die Sandsäcke platzen. Die um Macht und Mandate fürchtenden Parteien bezahlen ganze Armeen von Meinungsforschern, Analystinnen und Tagdieben um herauszufinden, was dem politischen Gegner am meisten schadet, ja, was ihn zur Weißglut bringt und in Wortfallen tapsen lässt. Auge um Auge, wie die Blinden gern sagen.

Es gibt eine Theorie, in der gefaktet wird, dass körperliche und emotionale Schmerzen ein identisches Verarbeitungssystem im Hirn haben. Beleidigungen, Derbheiten, Flüche – da werden Adrenalin, Cortisol und Endorphine freigesetzt: Das lindert das soziale und auch körperliche Schmerzempfinden, haben linke Freunde von mir herausgefunden (Emma Byrne, Die Kraft der Schimpfwörter – Warum Fluchen gesund ist). Fluchen lässt einen Menschen nicht unbedingt höflich erscheinen, hat aber überraschend positive Effekte: Es lindert Schmerzen und stärkt Beziehungen, sagt Byrne.

Fluchen ist gesund, anders als gemeingefährliche Fluten. Und irgendwie auch so schön, dass Kontrahenten den §188 StGB aus dem Auge verlieren. Noch schlimmer aber, wenn die nicht nur mit Worten gegen Personen des politischen Lebens um sich schmeißen, sondern handgreiflich werden und das Messer nehmen. Das eine nicht ohne das andere? Ich bin unschuldig, sagte der Frosch, bevor er unter die Räder kam.

Die gutgelaunten RassistInnen von Sylt wohnen gleich nebenan. Sie ticken wie du und ich, lassen auch mal Fünfe gerade sein und bereiten heute – unbewusst, naiv und oft feige – ideologisch das Pflaster vor, über das morgen der politische Gegner geschleift wird. Nein, nicht ins KZ.

Es genügen Wortverbote, Verleumdungen, tägliche Gemeinheiten, Lügen, Ausgrenzungen, Ignoranz und Ignorieren. Paar in die Fresse, täglich, medial, so lange bis du niederkniest und um die Gnade der Demokratie bittest: gehört zu werden.

Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de