Deutsche Umwelthilfe – DUH – reicht 204-seitige Verfassungsbeschwerde ein

Heute – am 17.7.2024 – tritt das entkernte Klimaschutzgesetz in Kraft und zeitgleich reicht die DUH ihre 204-seitige Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein!

Hierzu gibt es die folgende Stellungnahme von Jürgen Resch – Bundesgeschäftsführer der DUH:

Was für ein Krimi: Am Montag hatten wir seit 10 Uhr vor dem Berliner Oberverwaltungsgericht über knapp neun Stunden für die Saubere Luft gekämpft, als uns die Nachricht erreichte, dass der Bundespräsident buchstäblich in allerletzter Minute nach fast zweimonatiger Prüfung doch seine Unterschrift unter die Entkernung des Klimaschutzgesetzes gesetzt hat. An diesem Montag, 15. Juli, lief nämlich die Frist aus, nach der Bundesverkehrsminister Wissing aufgrund des nun entkernten Klimaschutzgesetzes gezwungen gewesen wäre, entweder ein Wochenendfahrverbot oder eben ein Tempolimit auf Autobahnen zu erlassen. Zu letzterem hätten wir Porsche-Minister Wissing gerne mit einem fertig vorbereiteten umfangreichen Klagetext im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens gezwungen. Nun hieß es am Montag, während der zwei kurzen Pausen der bis in die Abendstunden dauernden Gerichtsverhandlung und während einer fast schlaffreien Montagnacht von einem Vollstreckungsverfahren auf die Einreichung einer Verfassungsbeschwerde umzustellen und die für den Folgetag geplante Pressekonferenz auf die neue Sachlage auszurichten. Was uns dann auch tatsächlich gelang!

Etwas übermüdet, aber innerlich elektrisiert habe ich gestern gemeinsam mit meiner Kollegin Barbara Metz und Prof. Remo Klinger um 10.30 Uhr der Rekordzahl von 77 Pressekonferenz-Teilnehmern unsere Verfassungsbeschwerde vorgestellt. Noch am Nachmittag machte sich ein Bote auf den Weg nach Karlsruhe. Zeitgleich mit dem heutigen Inkrafttreten des nun entkernten Klimaschutzgesetzes wird sich das Bundesverfassungsgericht mit unserer 204-seitigen Verfassungsbeschwerde beschäftigen.

Der rot-grün-gelben Ampelregierung werfe ich vor, sich mit dieser Gesetzesänderung vom Klimaschutz zu verabschieden. Diesen klaren Verfassungsbruch nehmen wir als DUH nicht hin und ziehen daher erneut vor das höchste deutsche Gericht – wie im Januar 2020, was im April 2021 zum historischen Klimaschutzurteil und einem Grundgesetzartikel 20a als „Recht auf eine lebenswerte Zukunft“ geführt hat. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass das daraufhin unter einer Merkel-Kanzlerschaft verschärfte Klimaschutzgesetz von einer grün mitgetragenen Bundesregierung kastriert wird. Das werden wir nicht akzeptieren! Deutschland ist verpflichtet, den Pariser Klimabeschluss zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels umzusetzen.

Dass wir uns so gut auf beide Situationen mit fertigen Schriftsätzen vorbereiten konnten, gelang nur durch die grandiose Unterstützung von Spendern und Klimaklagen-Paten, die uns überhaupt diese juristische Schnellboot-Rolle ermöglichen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bisherigen Unterstützern ganz herzlich bedanken! Mit dem heutigen Einreichen der Verfassungsbeschwerde geht die Arbeit aber erst richtig los. Wir gehen fest davon aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht sehr zeitnah mit unserer Argumentation beschäftigen wird. Der Präsident des Gerichts hat vor einigen Monaten geäußert, dass unsere Verfassungsbeschwerde aus dem Herbst 2023 auf der Liste der in 2024 priorisierten Verfahren des obersten deutschen Gerichts steht. Wir gehen davon aus, dass diese gemeinsam mit der heutigen Beschwerde verhandelt wird.
Ich brauche daher gerade jetzt Ihre Hilfe und Unterstützung: Die von uns verklagte Ampel-Regierung wird mit umfangreichen Schriftsätzen, Gutachten ihrer Fachbehörden und Eingaben der Industrie in Karlsruhe dagegenhalten. Und von den fossilen Konzernen befürchte ich weitere Angriffe und Kampagnen gegen die DUH. Wir müssen nun bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts intensiv inhaltlich wie rechtlich für wirksame Klimaschutzmaßnahmen werben und auf alle rechtlichen Einlassungen und Gegengutachten schnell reagieren. Bitte ermöglichen Sie uns gerade jetzt diese Arbeit, um auch der aktuellen Verfassungsbeschwerde zum Erfolg zu verhelfen!

Mit dem seit heute geltenden, kastrierten Klimaschutzgesetz gibt sich die rot-gelb-grüne Ampelregierung einen Freibrief dafür, keine einzige konkrete Klimaschutzmaßnahme in dieser Legislatur mehr ergreifen zu müssen. Und dies, obwohl ihr eigener Expertenrat ihr das Reißen der verpflichtenden Klimaziele bis 2030 und erst recht für die Folgeperiode attestiert.

In Deutschland blockieren fossile Energie- und Autokonzerne eine wirksame Klimapolitik und zerstören unsere Zukunft sowie die unserer Kinder. Das nehmen wir nicht kampflos hin. Der Freifahrtschein gegen den Klimaschutz, den die Bundesregierung insbesondere Autominister Volker Wissing ausgestellt hat, zeigt sich aktuell in der Rückabwicklung der Verkehrswende. Anstatt die riesige CO2-Lücke von 180 Millionen Tonnen im Verkehr zu schließen, weitet die Ampel-Regierung die finanzielle Förderung von Luxus-Geländewagen mit Verbrennungsmotoren aus und schwächt gezielt den Schienengüter- und Personenverkehr. Die Elektrifizierung neuer Bahnstrecken kam praktisch zum Stillstand, Güter- und Personenverkehr auf der Schiene sollen in den nächsten Jahren durch steigende Trassenpreise so verteuert werden, dass sich die Rekordinvestitionen in eintausend neue und ausgebaute Autobahnkilometer lohnen. Zur Freude der Speditionen und der Autokonzerne.

Wir werden gerade jetzt besonders DRUCK MACHEN, bis FDP-Minister Wissing aufgrund der rechtskräftig gewordenen Klima-Gerichtsentscheide die notwendigen Klimaschutz-Maßnahmen auf den Weg bringen muss: Allein ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und 30 km/h in der Stadt spart mit über 11 Millionen Tonnen CO2 mehr als die Hälfte der diesjährigen Emissions-Lücke im Verkehrssektor ein. Ein Stopp der steuerlichen Absetzbarkeit und damit bis zu 59-prozentigen Subvention von spritdurstigen Klimakiller-Dienstwagen und eine Senkung statt Erhöhung der Schienenbenutzungsgebühr für Gütertransporte können ebenfalls sofort beschlossen und umgesetzt werden.

Vor Wochen kündigte Wissing angesichts des am 15. Juli fällig gewesenen Sofortprogramms richtigerweise an, für den Fall der nicht rechtzeitigen Änderung des Klimaschutzgesetzes die Klimagasemissionen im Verkehrsbereich mit drastischen Maßnahmen absenken zu müssen. Er nannte zur Abschreckung ein generelles Wochenend-Fahrverbot. Ich begrüßte damals ausdrücklich das Eingeständnis von Auto-Minister Wissing, dass eben nur ein wirksames Klimaschutzgesetz – wie wir es nun über die Verfassungsbeschwerde wiederherstellen wollen – die notwendigen Klimagaseinsparungen im Verkehrsbereich erzielen kann. Und ich habe das Tempolimit als sanftere und mindestens gleichwertig wirksame Alternative benannt.

Kein anderes Land hat ein Wochenendfahrverbot für zwei Tage eingeführt, nur um an den verbleibenden fünf Tagen in eine besinnungslose Raserei gegen den Klimaschutz einzutreten. Alle Industriestaaten haben klug an jedem Tag der Woche einfach die Höchstgeschwindigkeit begrenzt – und denselben Einsparungsbetrag an vermiedenen Klimagasen erreicht.

Ich verspreche Ihnen: Wir werden über unsere bereits vier gewonnenen und nun beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Bestätigung liegenden Klimaklagen wie auch über unsere Verfassungsbeschwerde wirksame Klimaschutzmaßnahmen gegenüber der Bundesregierung und der Industrie durchsetzen. Wir werden weiter DRUCK MACHEN, bis die Bundesregierung ausreichende Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg bringt. Und ich verspreche Ihnen heute, dass wir das mit unserem gesamten hochprofessionellen Klimaschutz-Team der DUH und dem juristischen Team rund um Prof. Remo Klinger schaffen werden.

Quelle: DUH