125 Jahre Emschergenossenschaft: Hydrolog*innen stellen prägnanteste Fakten und Ereignisse aus den vergangenen Jahrzehnten zusammen
Zum Job der Hydrolog*innen gehört die Auswertung von Klima- und Niederschlagsdaten. Im Einzugsgebiet von Emscher und Lippe gibt es aktuell 87 Niederschlagsstationen. Die Beschäftigten der Emschergenossenschaft und ihrer Schwesterorganisation Lippeverband (1926 gegründet) können in Echtzeit auf die gemessenen Daten zugreifen. „Unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Fachabteilung beraten und unterstützen alle Bereiche in unserem Haus bei allen Fragen rund um den Wasserkreislauf wie Grundwasserverhältnissen, Niederschlag, Klimaparametern oder Abflussgeschehen in Gewässern sowie Kanälen und Regenbecken. Sie bilden das Rückgrat unseres Technischen Hochwasserschutzes, da auf Basis ihrer Beobachtungen beispielsweise Starkregenwarnungen herausgegeben oder Hochwassereinsätze aktiviert werden – und das frühzeitig, um im Fall der Fälle bestens gewappnet zu sein“, sagt Dr. Frank Obenaus, Technischer Vorstand von Emschergenossenschaft und Lippeverband.
„Die Auswertungen unserer Hydrolog*innen belegen bei Betrachtung des Zeitraums 1931 – 2023 eine signifikante Zunahme der Niederschlagssummen in der Emscher-Lippe-Region als Folge des andauernden Klimawandels und der damit verbundenen globalen Erwärmung. Steigende Temperaturen führen zu mehr und vor allem zu immer extremeren Niederschlägen“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband, und warnt vor einer Kollision von Extremwetterlagen: „Infolge von Hitzephasen kann es zu Dürreperioden kommen. Ereignet sich in dieser Zeit ein extremes Starkregenereignis, ist das Überflutungs- und Schadenspotenzial besonders groß, da die trockenen Böden in Kombination mit dem hohen Versiegelungsgrad in der Emscher-Region die Niederschläge kaum aufnehmen können. Die Wassermassen fließen in diesem Fall direkt und mit vollem Volumen ab.“ Die Daten der Hydrolog*innen helfen der Emschergenossenschaft bei der kontinuierlichen Verbesserung des Hochwasserschutzes und des Regenwassermanagements: Denn um die Tendenz in der Zukunft zu erkennen, müssen die Fachleute zunächst die Entwicklung in der Vergangenheit bis zur Gegenwart kennen.
Auswertungen in verschiedenen Kategorien
Die hydrologischen Auswertungen erfolgen dabei in verschiedenen Kategorien. Eine davon sind die sogenannten Dauerstufen. So wurde der meiste Niederschlag innerhalb von nur einer Viertelstunde am 4. August 1982 an der Station Bochum-DMT gemessen (43 Liter pro Quadratmeter). Innerhalb einer Stunde hat es am meisten am 3. Juni 2021 an der Station Essen-Pumpwerk Hesselbruch geregnet (84 Liter pro Quadratmeter). Spitzenreiter in der Dauerstufe „Sechs Stunden“ ist die Station Dortmund-Pumpwerk Asseln: Hier fielen am 15. Juni 1968 in der genannten Zeit 129 Liter pro Quadratmeter. Den obersten Rang in der Dauerstufe „Fünf Tage“ belegt die Station Oberhausen-Pumpwerk Nordbeeck: Ende August 1938 wurden dort 151 Liter pro Quadratmeter registriert.
Ein recht aktueller Vergleich: Während der Dauerregenperiode Ende Dezember 2023 wurden in der Dauerstufe „5 Tage“ an der Station Gladbeck-Pumpwerk Nattbach im Maximum 109 Liter pro Quadratmeter gemessen.
24-Stunden-Summen
Spannende Vergleiche liefern auch die höchsten registrierten 24-Stunden-Summen: Auf Platz 1 rangiert auch hier die Station Oberhausen-Pumpwerk Nordbeeck (149 Liter pro Quadratmeter am 29. August 1938). Der extreme Niederschlag am 26. Juli 2008 belegt dabei „nur“ Platz 6 bei Betrachtung der höchsten 24-Stunden-Summen: An der Station Dortmund-Pumpwerk Oespeler Bach wurden innerhalb eines Tages 117 Liter pro Quadratmeter gemessen. Der höchste jemals registrierte Tageswert in Nordrhein-Westfalen wurde am 28. Juli 2014 mit 292 (!) Litern pro Quadratmeter in Münsteraufgezeichnet. Der Niederschlag fiel innerhalb von nur sieben Stunden, die massiven Niederschläge verursachten eine urbane Sturzflut. Der höchste in Deutschland gemessene Tageswert eines Starkregenereignisses fiel am 12./13. August 2002 in Zinnwald mit 312 Litern pro Quadratmeter. Das Ereignis führte damals zu einem Jahrhunderthochwasser in der Elbe.
Ein relativ aktuelles Ereignis zum Vergleich: Am 14. Juli 2021 führte das Tief „Bernd“ zu einem Niederschlag von 107 Litern pro Quadratmeter an der Station Dortmund-Pumpwerk Asseln.
Regelrechte Starkregenserien gab es in den Jahren 2021 und 2023: Im Jahr 2021 wurden an elf Tagen und im Jahr 2023 (einschließlich des Dauerregenereignisses im Dezember) an neun Tagen entsprechende Ereignisse, die statistisch seltener als einmal in zehn Jahren auftreten, registriert.
Die nassesten und trockensten Wasserwirtschaftsjahre
Ein Wasserwirtschaftsjahr (WWJ) beginnt jeweils am 1. November und endet am 31. Oktober des Folgejahres. Mit 1052 Litern pro Quadratmeter belegt das WWJ 1966 den obersten Rang in der Liste der nassesten Wasserwirtschaftsjahre im Emscher-Gebiet, gefolgt vom WWJ 1968 (1039 Liter pro Quadratmeter). Das WWJ 2023 liegt mit 1020 Litern pro Quadratmeter auf Platz 5, während das WWJ 1948 das Schlusslicht der Top 10 bildet (953 Liter pro Quadratmeter).
Anders sieht es dagegen bei der Bilanz der nassesten Kalenderjahre (vom 1. Januar bis zum 31. Dezember) aus: Hier belegt das vergangene Jahr 2023mit 1175 Litern pro Quadratmeter die Spitzenposition, gefolgt von 1966 mit 1072 Litern pro Quadratmeter.
Das trockenste Wasserwirtschaftsjahr war 1959 mit nur 466 Litern pro Quadratmeter. Zwei relativ aktuelle Vergleiche: Das WWJ 2022 liegt auf Platz 7 mit nur 607 Litern pro Quadratmeter, gefolgt vom WWJ 2018 auf Platz 8 mit nur 617 Litern pro Quadratmeter.
Auch bei den trockensten Kalenderjahren liegt 1959 mit 449 Litern pro Quadratmeter ganz vorne, jedoch kommt in dieser Kategorie das Jahr 2018 mit 547 Litern pro Quadratmeter auf Platz 2. Das Jahr 2020 belegt mit 624 Litern pro Quadratmeter den sechsten Rang, während das Jahr 2022 mit 639 Litern pro Quadratmeter auf Platz 8 landet.
Entwicklung der Temperaturen
Vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Klimawandels und des Zusammenspiels von steigenden Temperaturen und zunehmenden Extremwetterlagen beobachtet die Emschergenossenschaft auch die Entwicklung der Temperaturen in der Region. Dabei greift der Verband auf die entsprechenden Daten der Ludger Mintrop Stadtklima-Station der Ruhr-Universität Bochum zurück. Seit 1931 ist ein hochsignifikanter Anstieg der Jahresmitteltemperaturen erkennbar. In den vergangenen 27 Jahren lagen die Temperaturen dabei in allen Jahren außer in 2010 und 2021 deutlich über dem vieljährigen Durchschnitt von 10,4 Grad Celsius der Periode 1961 bis 1990. Bisherige absolute Spitzenreiter sind die Jahre 2000 und 2023 mit einer Mitteltemperatur von 12,2 Grad Celsius. Mit der weiter fortschreitenden globalen Erwärmung verändert sich der Wasserkreislauf aus Verdunstung, Wolkenbildung und Niederschlag. Eine wärmere Atmosphäre nimmt mehr Wasserdampf auf – somit ist mehr Potenzial für extreme Niederschläge vorhanden.
Sommer- und Wüstentage an der Emscher
Neben den Listen zu Niederschlägen und Temperaturen finden sich bei der Emschergenossenschaft auch Statistiken zu Sommertagen (25 Grad und wärmer) sowie Wüstentagen (35 Grad und wärmer). Das Rekordjahr 2018 weist dabei mit 92 mit Abstand die höchste Anzahl an Sommertagen seit 1931 auf. Die Jahre 2006 und 2003 liegen mit 71 und 70 Tagen auf Rang 2 und 3.
Wüstentage mit einer Tagesmaximaltemperaturen von mindestens 35 Grad wurden am häufigsten im Jahr 2019 (6 Tage) registriert. Die Jahre 2003 und 2018 liegen mit jeweils 4 Tagen auf dem zweiten Rang.
Angesichts der mit den Daten belegten klimatischen Entwicklung und der Zunahme von Extremwetterereignissen ist eine Anpassung an die Folgen des menschengemachten Klimawandels dringend notwendig. Die Emschergenossenschaft arbeitet bereits seit Jahren und Jahrzehnten gemeinsam mit ihren Mitgliedskommunen an der klimarobusten Region, z.B. in der Zukunftsinitiative Klima.Werk. Bereits vor 20 Jahren hat die öffentlich-rechtliche Genossenschaft gemeinsam mit den Anrainerstädten und dem NRW-Umweltministerium die Zukunftsvereinbarung Regenwasser (ZVR) für ein nachhaltiges Regenwassermanagement auf den Weg gebracht. Zahlreiche Flächen konnten in der Folge in der Region entsiegelt und von der Kanalisation entkoppelt werden.
Vor genau zehn Jahren, im Jahr 2014, ging aus der ZVR die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ (das heutige Klima.Werk) hervor, die Wasserwirtschaft noch enger mit städtebaulichen Aspekten verknüpft. Im vom Land NRW geförderten Programm „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ – ausgedehnt auf die Gebietskulisse des Regionalverbandes Ruhr – setzt die Emschergenossenschaft gemeinsam mit den Kommunen und weiteren Wasserwirtschaftsverbänden unter anderem erfolgreich Dach- und Fassadenbegrünungen um. Auch der Hochwasserschutz wurde in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig verbessert: Im Zuge des Generationenprojektes entstanden zwischen 1992 und 2021 zahlreiche zusätzliche Hochwasserrückhaltebecken. Darüber hinaus sind auch ganz aktuell weitere Anlagen und Hochwasserschutzmaßnahmen im Bau oder in Planung.
125 Jahre Emschergenossenschaft
Die Emschergenossenschaft feiert in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen. Am 14. Dezember 1899 als erster deutscher Wasserwirtschaftsverband gegründet, ist die Emschergenossenschaft heute gemeinsam mit dem 1926 gegründeten Lippeverband Deutschlands größter Betreiber von Kläranlagen und Pumpwerken. Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Unternehmens sind die Abwasserentsorgung, der Hochwasserschutz sowie die Klimafolgenanpassung. Ihr bekanntestes Projekt ist der Emscher-Umbau (1992-2021), bei dem die Emschergenossenschaft im Herzen des Ruhrgebietes eine moderne Abwasserinfrastruktur baute. Dafür wurden 436 Kilometer an neuen unterirdischen Abwasserkanälen verlegt und vier Großkläranlagen gebaut. Rund 340 Kilometer an Gewässern werden insgesamt renaturiert. Parallel entstanden über 130 Kilometer an Rad- und Fußwegen, die das neue blaugrüne Leben an der Emscher und ihren Nebenläufen erleb- und erfahrbar machen. www.eglv.de