„Die letzten Mohikaner“-Brieftaubensport in Mengede (4. Folge)
Der letzte Mohikaner ist ein 1826 erstmals erschienener historischer Roman des amerikanischen Schriftstellers J. F. Cooper (1789–1851). Die Handlung spielt zur Zeit des Siebenjährigen Krieges in Nordamerika. Es handelt sich um die zweite Folge aus der Serie „ Der Lederstrumpf.“Im Titel wie im Roman wird der Untergang nordamerikanischer Indianerstämme durch die vorrückenden europäischen Siedler beschrieben. Darauf bezieht sich das geflügelte Wort „der letzte Mohikaner“. Es steht für die letzten Zeitzeugen einer Idee oder – wie nachfolgend beschrieben – einer Sportart, die vor allem das Ruhrgebiet geprägt hat.
In einem Beitrag vom 20.5.2015 hat MENGEDE:InTakt! über den Brieftaubensport in Mengede berichtet. Zunächst haben wir Taubenzüchter vorgestellt, die sich schon ihr Leben lang dem Brieftaubensport gewidmet haben.
Des Weiteren haben wir uns mit allgemeinen Themen rund um den Brieftaubensport beschäftigt, wie Anfänge des Brieftaubensports im Ruhrgebiet – Brieftauben als Informationsvermittler – Orientierungsvermögen – Wettflüge und kritische Anmerkungen der Tierschutzverbände.(Einzelheiten siehe: https://mengede-intakt.de/2015/05/20/die-letzten-mohikaner/ )
In der zweiten Folge haben wir über Winfried Vedder, den Zweitjüngsten der vorstehend abgebildeten „letzten Mohikaner“ geschrieben, in der dritten Folge über Siegfried Zink, der am 29.7. 2015 80 Jahre alt geworden ist. In der heutigen Folge wird Friedhelm Bleibtreu aus der Schlaggemeinschaft Bleibtreu/Podscharly vorgestellt.
Friedhelm Bleibtreu ist der jüngste der drei in den letzten Wochen vorgestellten „Taubenkasper“.
Er hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt, und zwar bei seinem Großvater in Dingen, Johann Immig. Der war Bergmann und hatte einen Schlag in der damals üblichen Größe von ca. 30 Tauben. Als Junge ist F. Bleibtreu so häufig es ging, auf den engen Schlag des Großvaters gekrochen und hat beobachtet und dabei gelernt, worauf es beim Taubenzüchter in erster Linie ankommt: eine uneingeschränkte Zuneigung zu den Tieren. Halbherzig geht es gar nicht.
Doch die Zuneigung zu den Tauben schloss manchmal ein brutales Vorgehen nicht aus. Diese Geschichte lohnt erzählt zu werden, auch weil sie den Wandel allein schon in der technischnen Entwicklung verdeutlicht. Heute lösen die Tauben einen Kontakt aus, wenn sie im Heimatschlag ankommen; somit werden ihre Ankunftszeit und die Nr. registriert. Damals wurden den Tauben die Ringe – zu der Zeit waren es noch Gummiringe- entfernt, sobald sie im Schlag angekommen waren. Dabei ging es dann um Sekunden. Die Tauben mussten eingefangen werden, damit die Ringe abgestreift werden konnten. Verlor der Züchter dabei die Geduld und erschreckte das Tier, gab es große Unruhe im Schlag. Es konnte deshalb beim nächsten Flug passieren, dass die Taube zwar in guter Zeit ankam, aber in Erinnerung an die Erlebnisse des Vorsonntags partout nicht in den Schlag wollte. Damit waren natürlich alle Siegchanchen dahin, und das passierte dann meist für alle weiteren Flüge. Dies war ärgerlich, meist nicht mehr zu reparieren, und deswegen ein Fall für ein Taubensüppchen.
Die Ringe wurden, nachdem sie vom Fuß der Tauben abgestreift waren, vom Schlag herunter geworfen. Der beste Läufer aus der Familie musste sie dann zum Vereinslokal bringen. Dort wurden sie in eine einzige große, für alle Züchter des Vereins aufgestellte Taubenuhr gesteckt. Mit einem komplizierten Berechnungssystem wurden Zeitgutschriften für die entfernt liegenden Schläge berechnet. Wer nun einen schnellen Läufer als Überbringer der Ringe hatte, konnte auf diesem Wege zusätzliche Sekunden gut machen, wenn er schneller war, als das angenommene Mittel. Dass es dann gelegentlich an der Uhr zu Rangeleien kam, ist nachvollziehbar, hat aber offenbar dem Reiz des Ganzen keinen Abbruch getan. Friedhelm Bleibtreu, der schon als Kind zu den eher weniger Sportlichen zählte, wurde als Läufer für die Ringe erst dann eingesetzt, wenn schon alles gelaufen war; d.h. für die Nachzügler. Dabei wurde er von den anderen häufig mit Hänseleien überzogen. Bei dieser Gelegenheit hat er sich vorgenommen, sollte er einmal selbst richtiger Züchter werden, würde ihm das nicht passieren. Doch dazu später.
1953 bekam mit gerade mal zehn Jahren seinen ersten Schlag mit zwei Tauben. Er wurde Mitglied im Verein „Siegespalme Dingen“ und durfte auch selbstständig schicken. Damals galt für ihn und seine Tauben der früher geltende olympische Wahlspruch: Dabei sein ist alles, denn Teilnahme ist wichtiger als Sieg!
Friedhelms Vater wollte ihn vom Taubensport abhalten, aber der Großvater beziehungsweise sein väterlicher Freund Eugen Nieder, mit dem er lange Jahre zusammen arbeitete, ließen sich davon nicht beeindrucken.
Als Vater Bleibtreu im Jahr 1962 in der Mengeder Heide ein Haus baute, entschieden Großvater und Enkel nicht mit umzuziehen, wenn der Vater keine Vorkehrungen treffen würde, die Tauben unterzubringen. Nicht aus Überzeugung gab Vater Fritz nach – was blieb ihm auch anderes übrig.
Als der Großvater zu alt geworden war, um sich mit um die Tauben zu kümmern, arbeitete Friedhelm Bleibtreu lange Zeit mit Eugen Nieder zusammen.
Seit 1977 bildet er eine Schlaggemeinschaft zusammen mit Manfred Podscharly. Das muss eine ideale Kombination sein, denn sie hat nun seit fast 30 Jahren Bestand. Eine eher ungewöhnlich lange Zeit im Taubensport. Dabei ist die Erklärung einfach: Der eine hat die Ruhe weg, der andere kann schon mal „in die Luft gehen“, beides ergänzt sich offensichtlich ideal.
Seit 1980 hat die Gemeinschaft ihren Schlag in der Siegenstraße 5. Im Gegensatz zu ihren beiden Kollegen S. Zink und W. Vedder, die ihre Schläge im Garten fußläufig und ebenerdig erreichen können, müssen die beiden Züchter jeweils 85 Treppenstufen bewältigen, um auf den Schlag zu kommen.
Hinauf müssen sie regelmäßig 8-10 kg schwere Eimer mit Taubenfutter tragen, anschließend den Taubenmist herunter bringen. Die Taubenkisten für die Wettkämpfe und Trainingsflüge müssen rauf und runter transportiert werden – schon allein der Aufstieg ohne Transportbelastung ist eine sportliche Leistung. Die beiden Züchter sind zwar die jüngsten der „Mohikaner“, aber sie gehen auch mehr oder weniger stramm auf die „80“ zu. Bisher betrachten sie es noch als tägliche Trainingseinheit, die den Gang in eine „Muckibude“ ersetzt.
Etwas komfortabler – jedenfalls für die Züchter – sind die Zuchttauben untergebracht; sie haben ihren Schlag im Garten von F. Bleibtreu.
Das Züchterpaar Bleibtreu/Podscharly hat in letzten Jahren erstaunliche Erfolge erzielt. Erstaunlich, weil diese trotz der beruflichen Inanspruchnahme der beiden möglich war. Der eine war viel im Ausland tätig, der andere hat Schichtdienst im Krankenhaus zu verrichten.
Eine ausschnitthafte Aufzählung der Erfolge der Schlaggemeinschaft ist beeindruckend. In einem Katalog für das Jahr 2003 – eines der wenigen Dokumente, die F. Bleibtreu aufbewahrt hat – ist nachzulesen, was die Tauben der Schlaggemeinschaft Bleibtreu/Podscharly bis zu diesem Zeitpunkt geleistet haben.
Es wäre eher langweilig, jetzt detailliert aufzuzählen, welche Leistungen die Tauben der Schlaggemeinschaft in den folgenden Jahren gebracht haben. Zwar freut es die Züchter, wenn sie sehen, dass die Arbeit von Erfolg gekrönt ist. Aber in erster Linie sind es ja die Tauben, die die guten Platzierungen und Preise einfliegen. Natürlich ist es auch ein Ergebnis beharrlicher und konsequenter Zuchtarbeit, gepaart mit einer intensiven Betreuung. Intensive Betreuung heißt, alle Tauben jederzeit im Blick haben, Verhaltensänderungen sofort analysieren und gegebenenfalls tierärztliche Maßnahmen ergreifen, damit sich keine Krankheitserreger im Schlag ausbreiten können. Und es gehört natürlich auch eine Portion Glück dazu.
Dies alles hat bei der Schlaggemeinschaft im laufenden Jahr 2015 auch wieder gepasst – bisher jedenfalls. Friedhelm Bleibtreu sagt: „Bei den Alttauben haben wir die bisher beste Saison überhaupt erlebt“.
Die Taubenzüchter im allgemeinen und die beiden der Schlaggemeinschaft im besonderen neigen nicht zur Hochstapelei oder bei Erfolgen dazu, auf „den Putz zu hauen.“ Sie wissen, dass sie die Rahmenbedingungen für gute Ergebnisse schaffen können, aber fliegen und siegen müssen ihre Vögel.
Damit auch ein Nichtfachmann sich ein Bild davon machen kann, was die Alt-Tauben der Schlaggemeinschaft Bleibtreu/Podscharly in dieser Saison geleistet haben, hier eine kleine Auswahl: (RV=Reisevereinigung DO-West; FG=Fluggemeinschaft, d.h. RV Castrop-Rauxel, DO-West, DO-Marten, Brambauer, Waltrop; RegV= RegVerband östl. Ruhrgebiet mit 18 Reisevereinigungen und rd. 100o Schlägen)
1. Platz bei der RV-Meisterschaft 5 Alte/Jährige
1. Platz bei der RV-Pokalmeisterschaft 6 Alte/
1. Platz bei der RV-Männchenmeisterschaft
1. Platz bei der RV-Jährigenmeisterschaft
1. Platz bei der RV-Weibchenmeisterschaft
1. Platz bei der RV-Weitstreckenmeisterschaft
1. Platz bei der Sondermeisterschaft
1. Platz bei de FG-Meisterschaft
2. Platz bei der FG-Jährigenmeisterschaft
2. Platz bei der RegV-Meisterschaft
1. Platz bei der RegV-Juniorenmeisterschaft
2. Platz beim Wanderpokal Junioren
1. Platz beim Wanderpokal RegV und
1. Platz Meisterschaft „Die Brieftaube“
Wenn die Taubenzüchter auch wenig Aufhebens davon machen, wir von MENGEDE:InTakt! stellen einfach fest: Derartige Erfolge sollten alle „Taubenkasper“ in Dortmund-West und Umgebung freuen. Wir tun es jedenfalls, auch weil wir sehen, dass Mengede in der Welt der Taubenzüchter eine „Hausnummer“ ist und dass auch die anderen Züchter in der Region darauf stolz sind und ihre Freude daran haben.
Auf die Frage, worauf die Erfolge in dieser Saison zurückzuführen sind, hat der Züchter Bleibtreu eine ganz einfache Antwort parat. Seitdem er Rentner sei, habe er viel mehr Zeit für die Tauben zur Verfügung. Die Alttauben benötigen diese Zeit, mehr als die Jungtauben. Die Jungtauben fliegen drauflos – um das etwas salopp zu sagen. Die „Alten“ benötigen erheblich mehr Zuwendung. So erklärt sich, dass in früheren Jahren nur die Jungtauben der Schlaggemeinschaft glänzende Erfolge eingeflogen haben. Wenn sie dann ein Jahr später als Alttauben starteten, blieben sie dann häufig hinter den Erwartungen zurück.
Diese Erkenntnisse lassen sich möglicherweise aus der Welt der Taubenzüchter ins allgemeine Leben übertragen: Die Jungen brauchen eine optimale Betreuung und eine intakte Umgebung, um sich gut zu entwickeln. Die Alten können ebenfalls viel leisten, bedürfen dafür aber mehr Aufmerksamkeit und eine intensivere individuelle Betreuung und müssen vor allem gefordert werden.